Schieber
hin spitz zulaufende Gebäude ist unzerstört, ein
Solitär in einer Nachbarschaft der abgesprengten Dachstühle und
brandvernarbten, fensterlosen Wände. Eine von Hamburgs teuersten Büroadressen.
Stave passiert die Spitze: »Chilehaus A« steht auf großen,
metallenen Lettern über einem Eingang. Er blättert in den Notizen, die er sich
beim letzten Besuch von Greta Boesel gemacht hat. Die dünne Visitenkarte fällt
heraus, die ihm der Promoter gegeben hat. Walter Kümmel hat sein Büro im Haus
B, zweiter Stock. Ein massiger Torbogen, dann der Innenhof des Chilehauses. Ein
großer Platz, trotzdem wirkt er düster und bedrückend eng, denn die
himmelstürmenden Mauern ringsum schirmen das Sonnenlicht ab. Immerhin
verschafft das ein wenig Kühlung, Stave fährt dankbar mit der Rechten unter den
verschwitzten Hemdkragen. Ein Café befindet sich im Innenhof, daneben ein
Geschäft für Tabakwaren.
Der Eingang zu Haus B steht offen, Dutzende Männer drängen hinein,
die meisten mit Aktentaschen in den Händen und dem verdrossenen
Gesichtsausdruck von Angestellten an einem Montagmorgen. Polierte Steintafeln
zu beiden Seiten der Eingangstür, die Namen der Mieter eingemeißelt, als wäre
es eine antike Inschrift, die Jahrtausende überdauern soll. Der Oberinspektor
vergewissert sich mit einem Blick: »Sloman, F. W. & Co. Verkaufskontor
Chlorodont – 1ST.« Und darüber: »Hanseatischer Boxring, W. Kümmel – 2ST.«
Das Treppenhaus im Innern: polierte Platten an den Wänden, sie
gleichen glatt geschliffener Birkenrinde. In einer Fensternische am ersten
Treppenabsatz dunkle Holzstühle, wie Beichtstühle, denen jemand die Kabine
gestohlen hat. Das Treppenhaus oberhalb des ersten Absatzes ist weiß gekachelt,
als stiege man hinauf in ein Schwimmbad.
Im zweiten Stock eine braunrote Holztür, keine Klingel. Stave
klopft, doch die Tür ist so massiv, dass er nicht hört, ob sein Klopfen auf der
anderen Seite vernommen wurde. Er probiert die Klinke. Unverschlossen. Ein
kleiderschrankgroßes Vorzimmer mit winzigem Schreibtisch, Stuhl, liederlich
aufgeräumtem Aktenschrank. Sieht nicht so aus, als würde hier häufig jemand
arbeiten. An der Garderobe hängt ein Sommerjackett. Und hinter einer Tür mit
eingefasster Milchglasscheibe dröhnt eine Stimme ins Telefon. Die Stimme von
Walter Kümmel.
Der Oberinspektor klopft auch an diese Tür, wartet keine Antwort ab,
sondern tritt ein. Kümmel, Stift in der Linken, Telefonhörer in der Rechten,
sitzt auf einem wuchtigen Schreibtisch aus dunklem Teak, die Füße auf seinem
Bürostuhl. Während er redet, schreibt er etwas in eine Kladde. Zahlen, vermutet
Stave, doch ihm bleibt keine Zeit, genauer hinzusehen. Kümmel blickt überrascht
auf, beendet mit einer hastigen Floskel das Gespräch, klappt das Notizheft zu.
»Sie überraschen mich!«, ruft der Boxpromoter und steht auf, reicht
ihm die Hand.
»Hat Ihnen Ihre Verlobte nicht gesagt, dass ich mit Ihnen sprechen
möchte?« Er schüttelt die vernarbte Pranke Kümmels.
»Ich dachte, Sie würden anrufen.«
»Hätte wohl nichts genützt, denn ich wäre nicht durchgekommen. Mit
wem haben Sie gesprochen?«
»Ein geschäftliches Telefonat.« Kümmel mustert ihn aufmerksam aus
seinen grauen Augen. Die Hakennase mit dem gebrochenen Rücken ist dunkel
gebräunt, bemerkt der Kripo-Mann. Kümmel muss die letzten Tage viel draußen
gewesen sein. Im Lastwagen holt man sich so eine Sonnenbräune jedenfalls nicht.
Hinter dem Promoter hängt ein gerahmtes, schon angegilbtes Plakat an der Wand,
Hein ten Hoff gegen Walter Neusel, Sommer 1946: »Deutschlands erster
Schwergewichtskampf der Profis seit dem Krieg!« Viele Krimsches haben damals
davon erzählt, Stave kann sich ganz gut daran erinnern. Damit wurde ten Hoff
berühmt. Neben dem Plakat hängt ein Paar Boxhandschuhe an einem Nagel,
dunkelbraunes Leder, die Schlagflächen heller und rissig.
»Meine«, sagt Kümmel, der Staves Blick gefolgt ist.
»Ihre sentimentale Ader?«
»Meine einzige. Was kann ich für Sie tun?«
»Hatten Sie eine gute Fahrt?«
Kümmel blickt ihn einen Moment erstaunt an, nickt. »Sie sind nicht
hierhergekommen, um mich nach dem Straßenzustand in den Besatzungszonen zu fragen.«
Stave beschließt, einen Frontalangriff zu wagen. »Wussten Sie, dass
Adolf Winkelmann in Schmuggelgeschäfte verwickelt war?«
Kümmel lacht. »Da hatte der Junge also seine Zigaretten her! Setzen
Sie sich doch.« Er selbst lässt sich auf dem Stuhl nieder, auf den er zuvor
seine
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