Schief gewickelt (German Edition)
ist. Aber ich fand unter den neuen Umständen einfach nie die nötige Ruhe, um mich in ein Auto zu verlieben.
Nun ja, und jetzt bin ich soeben auf dem Bahnhofsparkplatz mit einem japanischen Kompaktvan zwangsverheiratet worden. Ich sitze am Steuer, kutschiere meine Kleinfamilie vom Hauptbahnhof zum Prenzlauer Berg und versuche mich mit der Situation zu arrangieren. Simone ist froh, dass wir wieder da sind. Aber ein paar Dinge muss sie trotzdem noch loswerden.
»Ich verstehe immer noch nicht, wieso du nicht einfach bis Gesundbrunnen durchgefahren bist, wenn die Situation so dramatisch war.«
»Aber dann hättest du doch umsonst am Hauptbahnhof auf uns gewartet.«
»Na, wenn schon. Dafür hätte Daniel wenigstens beim Aussteigen Klamotten am Leib gehabt. Hättest du mir eben kurz per Handy Bescheid gesagt und die Sache wäre geritzt gewesen.«
Wäre sie natürlich nicht. Hätten wir Simone am Hauptbahnhof versetzt, hätte es im Ergebnis etwa genauso viel Schimpfe gegeben wie für unseren etwas verunglückten Ausstieg von eben. Das ist mir aber im Moment egal. Ich fühle mich gut. Und das, obwohl ich am Steuer eines japanischen Kompaktvans sitze. Schlimmer noch, ich fühle mich gut, weil ich am Steuer eines japanischen Kompaktvans sitze. Schwer zu erklären. Hat mit meinem Zivildienst zu tun. War eine gute Zeit. Erste Großstadt, erste eigene Wohnung, die Kolleginnen aus der Krankenschwesternschule und so weiter. Eines der größten Highlights: Der Kleinbus, mit dem ich immer dienstags und donnerstags die Schlaganfallpatienten zur Therapie bringen musste. Hatte ich schon fast vergessen. Dieses Gefühl, hoch über den ganzen 911ern und SLK s zu sitzen. Da hatte selbst das Im-Stau-Stehen noch etwas Majestätisches. War was? Ach so, ja, schönes Auto hast du, echt. Aber ein bisschen klein, nicht wahr?
Und genauso fühlt es sich jetzt mit diesem japanischen Kompaktvan wieder an. Und das Beste: Simone hat nur fünftausend Euro für diesen Hochsitz auf Rädern hingelegt. Gelegenheitskauf von Freunden, die in die USA umgesiedelt sind. Da kann man nicht meckern.
Wirklich unglaublich, wie angenehm sich diese Schüssel fährt. Ich versuche das Lenkrad so wenig wie möglich anzufassen, nur für den Fall, dass ich noch irgendwelche Kackreste an meinen Händen habe. Die nächste scharfe Kurve nehme ich mit 50. Dafür kriege ich natürlich wieder geschimpft. Aber ich sage: »Hey, ich glaube, unser alter Golf wäre bei dieser Aktion glatt umgekippt«, was Simone wieder versöhnt, denn damit habe ich ja schließlich ihren Autokauf gelobt.
Später, kurz vor dem Einschlafen, beschließe ich, eine Liste für mich zu machen: Zehn Gründe, warum es, trotz allem, doch nicht so schlimm ist, ein Kind zu haben. Punkt eins hätte ich jetzt: Weil es ein perfekter Grund ist, einen Kompaktvan zu fahren.
Ein zweiter Grund fällt mir auch gleich ein: Weil das Kind irgendwann in den Kindergarten gehen wird. Genau. Es rückt immer näher. Ich werde wieder Zeit haben. Ich werde wieder Bücher lesen und wieder Musik machen. Und ich werde doch noch meine Internetfirma gründen. Und in ein paar Jahren brauche ich nur noch mit den Fingern zu schnippsen, und sofort kümmern sich drei gutaussehende, erstklassig ausgebildete Kindermädchen um Daniel, während ich mit Simone im Lamborghini Miura in aller Ruhe in den Abendhimmel aufsteige und zur nächsten Strandbar fliege. Vrumm!
»Hast du was gesagt, Schatz?«
»Ich? Nö.«
»Na, dann schlaf gut. Du wirst es nötig haben, nach der langen Fahrt.«
»Hm, ja, schlaf du auch gut.«
»Werd ich. Das war vielleicht eine Woche, sag ich dir. Vilsmeier hat Angst, dass wir geschluckt werden, und geht jetzt auf Expansionskurs.«
»Und was hast du damit zu tun? Du bist doch Einkauf.«
»Genau. Und deswegen häng ich mittendrin. Wir wollen nämlich Firmen kaufen, von denen wir bisher eingekauft haben. Insourcing nennt man das. Noch mehr Teile des Gesamtproduktionsprozesses abdecken, verstehst du?«
»Äh, ja.«
»Na, ist auch völlig egal. Das Wochenende hab ich mir jedenfalls mit eiserner Faust freigeboxt. Ich freu mich schon so drauf, endlich wieder mit euch zusammen zu sein.«
Simone kuschelt sich an meinen Arm.
»So, mein tapferer Intercitypapa, jetzt aber erst mal Augen zu und durchgeratzt.«
»Hm, du Simone, was ich noch sagen wollte …«
»Ja?«
»Ist es okay für dich, wenn wir bei Daniel doch Wutz statt Penis sagen?«
»Och, Markus, das Thema hatten wir doch schon durch. Warum ist denn das
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