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Schief gewickelt (German Edition)

Schief gewickelt (German Edition)

Titel: Schief gewickelt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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herum und sieht mich mit großen Kulleraugen an. Jetzt könnte ich der große Wohltäter sein, Apfelstückchen und Kekse in die kleinen, sandigen Hände drücken und mich an dankbar strahlenden Blicken laben. Aber Daniel duldet das nicht. Mein Papa, meine Tasche, mein Essen. Haut ab. Und ihr, die ihr schon was gekriegt habt, schaut ihn bloß nicht so dankbar an. Sonst bildet sich der Lange womöglich noch was ein, und meine ganze Erziehung ist im Arsch.
    Simone redet auf Daniel ein und versucht ihn davon zu überzeugen, dass es gut ist, zu teilen. Zeitverschwendung. Sie könnte ebenso gut versuchen, Bill Gates davon zu überzeugen, den Windows-Code freizugeben.
    Daniel nimmt jetzt das große Kletterschiff in Angriff. Eigentlich ist daran nichts verkehrt, abgesehen von der Tatsache, dass er noch zu klein dafür ist und man ständig wie ein Derwisch um das Gerüst herumtanzen muss, um auf ihn aufzupassen. Aber das ist schon mal drei Stufen besser als die öde Sandkuchenzwangsarbeit. Außerdem mag ich es, wenn mein Sohn Anwandlungen des gepflegten Draufgängertums zeigt. Aber auch hier ist heute wieder das Problem: Wir sind zu zweit.
    »Pass auf, der fällt gleich da hinten runter.«
    »Seh ich doch. Bin ja schon da.«
    »Ach so, konnt ich von hier nicht sehen.«
    »Jetzt kommt er wieder auf deine Seite.«
    »Ich seh ihn nicht.«
    »Ich auch nicht mehr.«
    »Dann tu doch was, Markus!«
    »Was denn?«
    »Steig rauf!!!«
    »Nur die Ruhe.«
    »Du weißt doch, dass dahinten das gefährliche Loch ist.«
    »Steig du doch rauf.«
    »Auf meiner Seite ist aber keine Leiter.«
    Hoffentlich sitzt hier nicht irgendwo ein Journalist rum. Sonst setzt es morgen garantiert die hundertfünfundzwanzigste Glosse zum Thema überengagierte Eltern vom Prenzlauer Berg. Diese Schmierfinken. Haben einfach kein Feingefühl. Würden sie mal etwas hinter die Dinge blicken, würden sie vielleicht schreiben, dass Leute wie Simone und ich früher zwei Planeten waren, die ruhig ihre Bahnen um ihre Sonne namens Glück zogen und sich genüsslich von allen Seiten bescheinen ließen. Ja, genau. Und dass diese zwei Planeten dann bereitwillig einen neuen kleinen Planeten in ihr Sonnensystem aufgenommen haben und dass der natürlich alles erst mal mächtig ins Trudeln gebracht hat, weil neue Kräfteverhältnisse und so weiter. Und das dauert dann eben seine Zeit, bis alle drei wieder auf perfekten Kreisbahnen fliegen, ohne rumzueiern. So in etwa. Aber nein, die Herren Glossenschreiber wollen sich ja immer nur über die oberflächlichen Symptome beömmeln.
    Ich mache einmal mehr den schweren Fehler und zwänge mich durch den nicht erwachsenengerechten Aufstieg auf das Kletterschiff.
    Kawumm!
    Den blöden Pfosten übersehe ich jedes Mal. Zum Glück wieder nur eine Beule und keine Platzwunde, wie vor vier Wochen. Daniel sitzt lachend in der Ecke und denkt gar nicht daran, in das gefährliche Loch zu fallen.
    *
    Zwei Stunden verlorene Lebenszeit später machen wir uns endlich auf den Heimweg. Ich wünsche mir von Herzen, dass einer der Helmholtzplatz-Alkis uns anpöbelt. In meiner augenblicklichen Verfassung wäre eine heftige körperliche Auseinandersetzung bestimmt sehr gesund. Aber die Alkis können meine Laune anscheinend riechen. Kein böses Wort, kein Hund, der vor uns auf den Weg scheißt, nicht mal ein Rülpser. Feige Schweine.
    Zu Hause quälen wir uns durch den klassischen Samstag-Mittagessen-Einakter. Niemand beherrscht ihn so souverän wie wir. Jedes Wort sitzt wie bei Dinner for One .
    Simone (mit überdeutlichem Ich-bin-eine-schlechte-Mutter-Gesichtsausdruck): »Jetzt habe ich mir wieder nichts für das Mittagessen überlegt.«
    Ich: »Lass mal, ich mach uns Fischstäbchen.«
    Simone: »Aber wir können Daniel doch nicht jeden Tag Fischstäbchen geben.«
    Ich: »Wieso nicht? Er liebt Fischstäbchen.«
    Daniel: »Fischstäbchen!«
    Simone: »Das ist kein vernünftiges Essen.«
    Anders als bei Dinner for One gibt es an dieser Stelle zwei Möglichkeiten für die weitere Entwicklung der Handlung. Welche Variante wir spielen, hängt von Simones Energiereserven ab. Sind sie nicht mehr allzu groß, spielen wir die erste Handlungsvariante: Es gibt Fischstäbchen für alle, Daniel isst wie ein Scheunendrescher, Simone vergisst nach und nach, dass sie eine schlechte Mutter ist, wir betten Daniel zum Mittagsschlaf, warten, bis er weggeschlummert ist, und haben Sex.
    Heute hat Simone leider doch noch Energie. Also zweite Handlungsvariante: Simone verschwindet

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