Schief gewickelt (German Edition)
verstehen. Hab ich in meinem früheren Leben auch manchmal gemacht.
»Zweimal Coffee-to-go, bitte.«
Und lass dir bitte viel Zeit. Ich sinke auf einen Barhocker und warte, bis sich meine Augen an das Schummerlicht gewöhnt haben. Das Lied hat gewechselt. Papa don’t take no mess! Papa don’t take no mess!
»Hier, bitte schön. Macht fünf Euro.«
Ich ziehe etwas von dem Geld heraus, das Simone verdient hat. Oder sind es noch Reste von meinen Ersparnissen? Weiß ich nie genau. Fließt ja alles zusammen. Ich rühre den Zucker rein und nehme die Pappbecher am obersten Ende, um mich nicht zu verbrennen.
»Tschühüss.«
»Tschühüss. Ach, und könntest du dir nächstes Mal bitte den Sand abklopfen, bevor du reinkommst?«
Okay, die Sandhaufen, die ich unter dem Barhocker hinterlassen habe, sind wirklich nicht von schlechten Eltern, aber muss man das gleich so durch das ganze Lokal brüllen? Der rassistische Subtext war ja wohl nicht zu überhören: Wir wollen hier keine Helmholtzplatz-Papa-Weicheier mit Kakaoflecken auf der Jacke. Finden wir ekelhaft. Komm erst wieder, wenn du nach Dancefloor-Schweiß und Zigaretten stinkst. Papa don’t take no mess! Papa don’t, Papa don’t, Papa don’t, Papa don’t!
Wieder auf dem Spielplatz angekommen, sehe ich, dass Daniel meine gesamte Kuchenproduktion dem Erdboden gleichgemacht hat. Simone sieht mich mitleidsvoll an. Hallo? Als ob mir irgendwas an meinen sandigen Missgeburten liegen würde. Von mir aus kann Daniel Hula-Hula darauf tanzen. Ich bin einfach nur glücklich, wenn ich keine Zwangsarbeit mehr machen muss und meinen Kaffee trinken kann.
Zwangsarbeit habe ich nämlich lange genug gemacht. Die Jahre als festangestellter Internet-Kreativsklave waren, Espressomaschine hin oder her, kein Zuckerschlecken. Mein Chef Becker war eine Ausgeburt der Hölle. Ein großmäuliger Schaumschläger. Keinen Deut besser als ich. Hat nur einfach ein Jahr früher angefangen.
Offiziell gab es natürlich keine Hierarchie. Wir waren ja schließlich eine Internetagentur. Neuer Markt, neues Leben, wir sind eine Familie und so weiter. Haha. Hängt mir einen Sandsack mit Beckergesicht ins Wohnzimmer, und ich habe nach zwei Jahren einen Profivertrag im Mittelgewicht. Vor allem, wenn ich dran denke, dass es dieses Stehaufschwein auch noch geschafft hat, sich, gleich nachdem unsere Agentur gegen die Wand gefahren ist, bei einer klassischen Werbeagentur mit festem Kundenstamm und allem Drum und Dran einzuschleimen.
Aber trotz allem hatte es auch sein Gutes mit Becker. Der Hass hat mich zu Höchstleistungen angestachelt. Ohne ihn wäre ich nie auf meine Start-up-Idee gekommen, die uns bald reich machen wird. Und eins ist schon mal klar: Ich werde Becker mit einem Riesengehalt als Creative Director zu mir locken. Im Lauf der Zeit werde ich ihn schön langsam degradieren, immer weiter, Schritt für Schritt, und dann am Ende, kurz vor unserem Börsengang, ganz rausschmeißen. So in etwa: Tut mir persönlich sehr leid, aber wir gehen jetzt an die Börse. Wir müssen unsere Qualität auf allen Ebenen steigern. Bin ich den Aktionären schuldig. Kann ich keine Rücksicht nehmen. Verstehst du, oder? Ich hab dir schließlich genug Chancen gegeben …
»Ich auch was trinken!«
Was? Ach so. War ja klar. Kaum hat Daniel unsere Kaffeebecher gesehen, will er auch was. Ich habe schon lange herausgefunden, dass seine gesamte Nahrungsaufnahme ausschließlich neidgesteuert abläuft. Nach meinen Beobachtungen könnte er drei Tage ohne Essen und Trinken aushalten, wenn nur kein anderer in seiner Nähe etwas isst oder trinkt. Aber kein Problem. Was Unterwegsversorgung betrifft, bin ich Großmeister. Ich habe mir gleich zu Beginn meiner Papakarriere in einem Anglergeschäft eine große Tasche mit vielen, vielen Fächern gekauft. In diesen Fächern herrscht eine komplexe, fein abgestimmte Ordnung. Striktes Zonenprinzip: Sandzone, Fäkalzone, Reinzone, Papas-Sachen-Zone und Nahrungsmittelzone. Diese Tasche ist meine schärfste Waffe im Kampf um ein halbwegs entspanntes Unterwegs-Papatum. Simone darf sich ihr nicht mehr als einen Meter nähern. Manchmal habe ich das Gefühl, es reicht schon, wenn sie die Tasche nur ansieht, um meine Ordnung zu zerstören.
Ich öffne den Verschluss und finde blind die Saftflasche. Weil die meisten anderen Kinder auch neidgesteuert funktionieren und meine Papatasche eine wohlbekannte Größe auf dem Helmholtzplatz ist, steht im Nu eine Traube putziger kleiner Bälger um mich
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