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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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ihn trotzig an. »Danke, das mache ich selbst. Du lässt die Milch immer zu heiß werden, und ich hasse die Haut darauf.« Sie blickte auf und sah, dass er ihr seine Hände entgegenstreckte.
    »Wir sind nicht verwandt, aber du warst immer etwas Besonderes für mich – und May auch. Komm, es ist Zeit, ins Bett zu gehen … Am Morgen wird alles schon ganz anders aussehen.«
    Im Schein der Taschenlampe stapften sie das reifglitzernde Stück Weg zum Haus zurück. Ella kam sich dumm vor, erschöpft und ausgelaugt. Auch wenn es ihr nicht passte, Selwyn hatte recht. Herauszufinden, wer sie wirklich war, musste noch einen Tag warten. Und obwohl sie tief erschüttert war, begriff sie tief in ihrem Inneren, dass sie sich immer schon ein wenig anders gefühlt hatte, nicht hundertprozentig dazugehörig. Wenn sie ihre Mutter angesehen hatte, hatte sie sich manchmal gefragt, wie sie je in ihrem Bauch gesteckt haben konnte. Sie hatte sich deshalb immer schuldig gefühlt und gelernt, diese innere Stimme zu ignorieren. Jetzt kannte sie die Wahrheit und verspürte eine gewisse Genugtuung.
    Sie blieb stehen, um in den Winterhimmel und zum Mond hinaufzublicken. Wer bin ich? Wie kann ich es herausfinden? Gibt es auf dieser Welt jemanden, der etwas über mich weiß?

95
    Italien
    Marias Mutter war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet. Mit trüben Augen begutachtete sie den kleinen Babyschuh. »Ich kann nichts erkennen. Das ist ein hübscher Schuh, aber … ich weiß nicht … alle Babys haben solche Schuhe. Die Spitze ist gut gearbeitet, aber setz deine Hoffnung lieber nicht auf solche Dinge.«
    »Aber Maria konnte so gut Spitze klöppeln«, beharrte Angelo. Er hoffte auf eine andere Antwort, er suchte Trost.
    »Das können die meisten Mädchen in Anghiari und Sansepolcro. Dafür müssen wir den Schwestern Marcelli danken und ihrer kleinen
scuola di merletto
. Spitze kann man nur mit Nadeln und Fäden herstellen, doch über die Jahre haben wir so viele schöne Bilder damit geschaffen: Sterne, Tiere, Blumen, Schneeflocken. Ich weiß noch, wie Maria immer neben mir vor meinem Kissen saß und zugeschaut hat, wie man es macht. Jetzt ist sie von uns gegangen. Es war Gottes Wille.«
    Es war nicht das, was er hören wollte. »Ich dachte, du würdest den Schuh erkennen.« Verlegen stopfte er ihn wieder in die Tasche zurück. Er hatte geahnt, dass die Begegnung nicht leicht sein würde. »Ich wünschte, ich hätte ihr die Fahrkarte nicht geschickt«, sagte er seufzend.
    »Nichts hätte sie aufhalten können, Angelo. Sie wollte zu dir. Sie hat monatelang in jeder freien Minute dagesessen und Spitze für die Babysachen geklöppelt, aber auch Kragen und Manschetten, extra Arbeit, die sie verkaufen konnte. Sieh hin, das Lächeln auf ihrem Gesicht und die feine Spitze an Alessias Kleidung. Sie war so stolz auf ihre Arbeit, und die Kleine war so dunkel wie du.«
    Angelo kannte jedes Bildkörnchen auf dem kostbaren Foto, und trotzdem starrte er es wieder lange an, während Marias Vater sein Glas mit herbem Wein füllte. »Merk dir das ein für alle Mal, Sohn, wir machen dir keinen Vorwurf. Du hast dieses Schiff nicht untergehen lassen. Es war zu groß für den Ozean, und der hat es verschlungen. Sie saß einfach im falschen Schiff.«
    Angelo rief: »Aber es ist so schwer, damit zu leben.«
    »Lass es ruhen, und leb dein Leben mit deiner neuen Familie. Wir wünschen dir alles Gute. Dein Sohn will Priester werden? Den jungen Mann würde ich gern einmal kennenlernen. Aber er ist in Amerika, und das ist gut, denn hier würde er womöglich zu den jungen Schwarzhemden gehen. Unter dem Duce laufen die Dinge anders. Kindern wird nur das gelehrt, was die ihnen beibringen wollen. Die Kinder der Beamten werden in Leder und Spitze gehüllt, während andere verhungern. Und hier im Dorf kann man nicht einfach seine Meinung sagen, weil sich jemand beim Bürgermeister über einen beschweren könnte. Sie sagen, es ist gut für uns alle, wenn wir dem Duce folgen. Aber ich denke, es ist besser, frei zu sein.«
    Angelo nahm beide fest in den Arm. Er wusste, er würde sie nie wiedersehen. Als er durch das Dorf ging, starrten die Leute ihm nach, weil sie ihn für einen Fremden hielten. Und er fühlte sich auch wie einer. Er lächelte und winkte, aber sie gingen in ihre Häuser und schlossen die Türen. Wie still es hier war, verglichen mit dem Treiben auf New Yorks Straßen, mit seinem Geruch nach Knoblauch und gebratenen Zwiebeln, den lauten Stimmen aus den Cafés und von

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