Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
Vom Netzwerk:
beaufsichtigen soll und sie nicht zu frei herumlaufen lassen darf. Mein Französisch wird mit jedem Tag besser. Die Auslagen in den Schaufenstern sind phänomenal – aber keine Sorge, das Pariser Leben ist für mein Taschengeld viel zu teuer. Der Unterricht ist gut, und ich lerne viele andere Studenten aus dem Ausland kennen. In den Sommerferien fahren wir in den Süden – ich kann es kaum erwarten, das Mittelmeer zu sehen.
    Liebe Grüße,
    Ella
    Lieber Roddy,
    eigentlich hast Du gar keinen Brief verdient, da Du selbst kaum schreibst, aber ich will mit meiner französischen Adresse und all den Orten angeben, die ich schon besichtigt habe. Mein Bildhauer-Seminar ist großartig. Alle sind viel besser als ich. Ich muss noch so viel lernen.
    Ich sammle Kathedralen: Notre-Dame. Die Kirchen in Rouen, Chartres, Tours, Orléans und Paris sind wie riesige Lehrsäle.
    Unser Besuch in Cannes war wunderbar. Es war mächtig heiß, und ich bin jetzt so braun, dass die Leute mich schon für eine Einheimische halten. Es ist kurios, aber in der Sonne komme ich mir vor wie eine Eidechse, die sich auf Steinmauern wärmt. Ich werde ganz traurig, wenn ich daran denke, dass ich im Herbst wieder zu meinem Studium unter grauem Himmel zurückkehren muss. Die Mädchen haben am Strand gespielt, und wir sind jeden Tag im Meer geschwommen. Der kleine Junge ist jetzt auch da, Lionel, er hat sein eigenes Kindermädchen.
    Es tut gut, einmal weit weg von allem zu sein, auf eigenen Füßen zu stehen und allein zurechtzukommen, etwa wenn Männer sich in der Metro zu dicht an mich heransetzen und mir unter den Rock fassen wollen. Ich trete ihnen dann fest gegen das Schienbein, so dass sie zusammenfahren und sich schämen, wie ich hoffe. Ich wünschte, ich wäre ein Mann, der überall frei herumspazieren kann ohne Angst, verfolgt zu werden.
    Mittlerweile kann ich schon exzellent französisch fluchen, wenn mein Kunstprofessor meine Arbeit kritisiert. Er hat mir beigebracht, andere Arbeiten kritischer zu betrachten. Es gibt noch so viel zu lernen. Aber ich fühle mich jetzt schon wie ein ganz anderer Mensch.
    Ich versuche, nicht zu viel über meine Mutter nachzudenken. Es macht mich traurig, dass sie so jung gestorben ist und noch dazu so völlig unnötig, nur weil sie nicht rechtzeitig zum Arzt gegangen ist. Ich bin sicher, sie hat versucht, sich selbst zu heilen, um das Geld für mich zu sparen. Ich fühle mich schrecklich, dass sie so selbstlos war, um mir alle Vorteile zu eröffnen. Nie hat sie etwas für sich gekauft. Und ich darf jetzt wie eine Debütantin durch Frankreich ziehen! Ich weiß, es ist nicht fair, aber ich bin sicher, sie hätte sich für mich gefreut.
    Wie du sicher schon erfahren hast, weiß ich jetzt alles über die Titanic und wie unsere Mütter sich kennengelernt haben. Meine Mutter hatte wohl ihre Gründe dafür, dass sie es mir nicht erzählte. Manchmal glaube ich, sie hat sich geschämt, überlebt zu haben. Das Geld aus dem Überlebenden-Fonds hat sie nur beansprucht, um mir damit eine Ausbildung zu verschaffen.
    Es ist zu spät, um alles zu verstehen. Ich schätze, keiner von uns versteht seine Eltern, bis wir selbst Eltern sind. Eines Tages werden wir unsere Kinder vielleicht ebenso beschützen wollen und uns um sie sorgen. Aber ich hoffe, das wird noch einige Zeit dauern.
    Nein, es gibt keinen Rudolph Valentino in meinem Leben, nur Leon und Friedrich, die mich nach dem Unterricht manchmal in eines der Cafés an der Seine einladen. Zwischen uns funkt es aber nicht. Für Liebeleien habe ich jetzt keine Zeit. Was ist mit Dir, Du großer Bruder, den ich niemals sehe?
    Es hat mir sehr leid getan zu hören, dass Deine Großmutter gestorben ist. Ich weiß, wie lieb Du sie hattest. Entschuldige, dass ich andauernd nur von mir erzähle. Du arbeitest sehr hart, und Celeste ist stolz auf Dich. Die Scheidung wird nun endlich vollzogen. Sie war längst überfällig, wird zu Hause aber sicher einigen Aufruhr verursachen. Eine Scheidung ist in England nicht so alltäglich wie in eurem Land, und die Leute verstehen nicht, dass eine schlechte Ehe die reinste Hölle sein kann. Besser gar nicht heiraten, finde ich. Keiner von uns will so enden, da bin ich sicher.
    Schreib zurück, bevor ich wieder abreise.
    Liebe Grüße, Ella
    Sie hatte Roddy nicht die ganze Wahrheit über May und die
Titanic
erzählt. Niemand wusste davon, außer ihre Vormunde, und so sollte es vorerst auch bleiben. Dennoch war es seltsam, wie sehr sie sich hier auf dem

Weitere Kostenlose Bücher