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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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fassen!«
    »Ich finde, das verlangt nach etwas Stärkerem als Sherry«, sagte ihre Gastgeberin. »Sie haben mir großen Trost gespendet. Was für ein Zufall – wobei ich nicht an Zufälle glaube! Vielleicht sollte es ja so kommen. Meine Zwillinge Simon und Priscilla waren noch klein, als sie ihren Vater verloren, und ich verlor im selben Jahr meine Mutter.« Ella sah zu Priscilla, die am Fenster stand, das Porträt ihres Vaters mit neuen Augen betrachtete und ihnen aufmerksam zuhörte.
    »Mein Vater war fast ständig auf See, aber es war immer schön, wenn er mit Geschenken beladen nach Hause kam. Eines Morgens verließ er uns und kam nie wieder. Jetzt, im Krieg, machen wir Eltern uns alle große Sorgen um unsere Kinder. Meine waren mir ein großes Geschenk und Trost. Erzählen Sie mehr von Ihrer Mutter und der Statue. Es ist wirklich faszinierend.«
    Ella wusste nicht, wo sie anfangen sollte. »Wir haben ihn jedes Jahr am Gedenktag des Unglücks besucht. Meine Mutter hatte ihren Mann auf der
Titanic
verloren und war nach England zurückgekehrt. Ich verbrachte dann so viel Zeit mit Statuen und Steinen, weil wir in der Nähe der Kathedrale lebten, dass ich selbst Skulpturen anfertigen wollte. Ich wollte es zu meinem Beruf machen.«
    »Glauben Sie mir, meine Liebe«, meinte Mrs Russell-Cooke seufzend, »sobald dieser Krieg vorbei ist, werden Sie viel zu tun haben. Wir werden viele Gedenkstätten und Statuen brauchen. Es tut mir leid«, entschuldigte sie sich dann. »Wir sollten auf Ihrer Hochzeitsreise nicht so düster daherreden. Ich wünsche Ihnen beiden alles Glück der Welt. Ihr tapferen jungen Leute! Nun habe ich eine der jüngsten Überlebenden der
Titanic
kennengelernt. Hin und wieder treffe ich andere Überlebende, aber niemand will darüber sprechen, und an Ihre eigenen Erlebnisse werden Sie sich nicht erinnern, wenn Sie noch ein Baby waren. Aber Sie haben mir ein großes Geschenk gemacht. Wie schön, dass ich Ihnen eine Unterkunft bieten konnte, und Sie haben mich zehnfach dafür belohnt. Ich danke Ihnen sehr, und bitte kommen Sie doch wieder einmal vorbei. Bleiben wir in Kontakt. Tatsächlich kenne ich einige renommierte Bildhauer. Vielleicht ist das hilfreich für Sie.«
    »Leider müssen wir heute Abend wieder abreisen«, warf Anthony ein.
    »Wenn Sie Simon treffen, passen Sie bitte auf ihn auf«, sagte Mrs Russell-Cooke, streckte ihre Hand aus und sah Anthony fest in die Augen. »Er ist mein einziger Sohn und noch sehr jung.«
    »Ich werde mein Bestes tun«, erwiderte Anthony. »Komm, Ella, es ist Zeit zu gehen. Und nochmals herzlichen Dank, Mrs Russell-Cooke.«
    Mutter und Tochter winkten ihnen zum Abschied hinterher, und Ella klammerte sich aufgeregt an Anthonys Arm. »Ich kann nicht fassen, dass ich gerade Captain Smiths Tochter kennengelernt habe! Wie überaus kurios!«
    Auch als sie später im Red House zusammen in der Dunkelheit lagen, musste sie immer wieder daran denken. »Da ist noch etwas, das ich dir nie erzählt habe, über die Nacht auf der
Titanic
«, flüsterte sie. »Ich habe der Tochter des Kapitäns nicht die ganze Wahrheit gesagt.«
    »Na, dann los. Erzähl mir, was für dunkle Geheimnisse du all die Jahre in den Tiefen deines Herzens verborgen gehalten hast«, forderte er sie auf.
    Wo sollte sie anfangen? Sie atmete ein paarmal tief durch, bevor sie ihrem frisch angetrauten Ehemann berichtete, was damals im Rettungsboot tatsächlich passiert war.
    »Als meine Mutter gestorben war, erzählte mir Celeste …«
    Und sie wiederholte alles, was sie damals erfahren hatte. »Du siehst also«, sagte sie zum Schluss, »dass ich gar nicht genau weiß, wer ich eigentlich bin. Was hältst du von der Sache, Anthony?« Erwartungsvoll drehte sie sich um, hörte dann aber nur das regelmäßige Atmen eines Mannes, der tief und fest schlief.

106
    Dezember 1941
    An einem Sonntagnachmittag im Dezember erreichten Roddy ebenso wie Millionen anderer Amerikaner die Nachrichten vom Angriff auf Pearl Harbour. Er hörte gerade eine Konzertübertragung im Radio, als die Musik plötzlich von einer Stimme unterbrochen wurde: »Wir erhalten soeben Nachricht, dass unsere Flotte von den Japanern angegriffen wird. Unsere Schiffe brennen und sinken.« Er konnte nicht glauben, was er da hörte, und wechselte schnell auf einen Nachrichtensender. »Flugzeuge wurden abgeschossen …« Er drehte von Kanal zu Kanal, noch ohne die Konsequenzen dieser schrecklichen Nachrichten ganz zu begreifen. »Truppen gerieten unter

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