Schiff der tausend Träume
Roddy brannte vor Entrüstung über die letzten Geschehnisse. »Niemand kann sich so etwas herausnehmen, ohne dass wir es ihm heimzahlen. Ich will nicht nur danebensitzen. Diese Japaner wissen gar nicht, was sie da getan haben. Wir werden ihnen zeigen, dass wir keine so leichte Beute sind.«
In den nächsten Wochen bereute Roddy seine Entscheidung kein einziges Mal. Er meldete sich, wurde ärztlich untersucht, ließ sich den Kopf kahlrasieren und durchlief schweißtreibende Übungen im Kasernenhof mit Lauf- und Schießtraining. Es war wie damals im Internat, nur hatte es diesmal einen Sinn. Seine Entscheidung, in den Krieg zu ziehen, stand fest, so wie bei seinen Onkeln all die Jahre zuvor. Es kam ihm fast wie eine Familienpflicht vor, sich an den Japanern für das Gemetzel zu rächen, das sie auf den Philippinen und auf Hawaii angerichtet hatten. So viele Unschuldige waren bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen! Er hatte das Gefühl, als müsste er jeden Einzelnen persönlich rächen. Somit war es ein harter Schlag, als sie ihn nicht in den Pazifik schickten, sondern nach Europa. Er würde seinen Rachedurst an Hitler und seinen Sturmtruppen auslassen müssen. Das war nicht sein Plan gewesen, und er bekam fast ein schlechtes Gewissen, als er einen hoffnungsvollen Moment dachte, dass er wenigstens seine Familie noch einmal sehen könnte, falls er nach England geschickt würde.
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Pater Frank Bartolini saß an seinem Pult, starrte auf den Innenhof der Universität Harvard und hörte dabei die eindringlichen Worte des Dozenten über die wichtige Rolle der Militärgeistlichen beim Kampf in vorderster Front. Sie sollten allen Männern alles sein und sie nie enttäuschen. Sie seien Repräsentanten Gottes, Symbole seiner liebevollen Fürsorge, allzeit bereit zu beten und zu beraten, Verwundete und Sterbende zu trösten und zu retten, egal, wie es um sie selbst bestellt sei.
Frank hatte die Erlaubnis erhalten, die St. Rocco’s-Gemeinde in New Jersey zu verlassen, um dem Armeekorps der Militärgeistlichen beizutreten, das aus Priestern der unterschiedlichsten Konfessionen bestand.
Er war nun seit über sechs Jahren im Amt und hatte in der Gemeinde italienischer Immigranten an der Hunterdon Street gearbeitet. Jetzt aber war Frank ein Leutnant, der Befehle vom Militär entgegennehmen musste. Er hatte Kriegsrecht studiert, militärisches Verhalten und die Disziplin im Heeresleben gelernt, wie man die Ausrüstung benutzte und mit anderen Geistlichen zusammenarbeitete. Sie wurden als eine Gruppe betrachtet, in der jeder bereit sein musste, die Liturgien und Gebräuche der anderen zu lernen und, falls notwendig, auch auszuüben. Er musste den Seder-Gottesdienst der Juden beherrschen, und die mussten im Gegenzug den Rosenkranz lernen und Beichten abnehmen.
Die Vorstellung, ein Universalgeistlicher zu sein, der sich der religiösen Bedürfnisse von Gläubigen aller Konfessionen annimmt, empfand Frank als ebenso schwierig wie herausfordernd. Außerdem wurde von den Geistlichen erwartet, dass sie sich körperliche Fitness antrainierten. Als einer der Jüngeren war dies für ihn kein besonderes Problem, aber einige ältere Männer litten unter den langen Märschen, den Ausdauer- und Kraftübungen.
Frank wartete nun auf seinen Einsatz und war neugierig, wohin sie ihn schicken würden. Wie viele andere hatte er an jenem schicksalhaften Sonntag im Dezember die Nachrichten im Radio gehört.
Frankie war stolz auf seine Uniform mit dem Kreuz am Ärmel. Seine Eltern hatten ihm eine lilafarbene Seidenstola geschenkt, die er an der Front gebrauchen konnte. Er war froh, dass sich so viele Geistliche freiwillig gemeldet hatten, und viele von ihnen waren italienischer Abstammung wie er. Er konnte immer noch nicht fassen, dass Italien Seite an Seite mit Hitler diesen Krieg führte. Er selbst spürte keine Verbindung mehr zur Alten Welt, so wie sein Vater, aber sein Name war italienisch, und er musste besonders hart arbeiten, um seine Loyalität zu beweisen.
Das Training war entbehrungsreich, und er fragte sich oft, ob er bereit wäre, wenn ein kritischer Moment käme. Würde er ruhig bleiben können, wenn er an der Front unter Beschuss geriete oder Schlimmeres? Wie würde er mit dem Anblick schwerer Verletzungen zurechtkommen, auch wenn man sie mit Fotos darauf vorbereitet hatte, was sie erwarten könnte? Würden die Männer ihn respektieren?
Frank wusste, dass er kein so zäher Bursche war wie sein Bruder Jackie. Er wäre
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