Schiff der tausend Träume
Maschinengewehrfeuer, als sie sich in Sicherheit bringen wollten …« Die Bilder, die sich dabei vor seinem geistigen Auge auftaten, waren zu schrecklich, um länger darauf zu verweilen. Vor wenigen Minuten noch hatten die USA im Frieden gelebt. Nun würde es Krieg geben.
Das Telefon klingelte, und er schrak zusammen. Es war Will Morgan. »Ja, ja, ich habe es auch gehört. Wir treffen uns am Lager, ich bin schon unterwegs.«
Als er, immer noch mit seinem Sonntagsanzug bekleidet, in die Stadt fuhr, standen bereits Menschentrauben an den Straßenecken und diskutierten, Nachbarn trafen sich an den Gartenzäunen und bestätigten einander die fürchterlichen Neuigkeiten. Auf einmal fühlte Roddy sich sehr allein. In seinem Leben gab es niemanden, mit dem er diesen Schrecken teilen konnte, keine Grandma, keinen Archie, keine Mom. Niemanden außer seinem Geschäftspartner Will.
Er empfand große Empörung über diese Invasion, eine immense Wut. Wie konnte eine Nation so arrogant sein zu glauben, sie könne eine andere ungestraft angreifen? Es war genau wie Hitlers Blitzkrieg, aber diesmal vor der eigenen Haustür. Und es gab nur eine Möglichkeit, wie ein Mann ohne Bindungen darauf zu reagieren hatte.
»Ich werde mich freiwillig melden«, sagte Roddy, während er ins Büro stürmte, in dem Will bereits die Landkarten an der Wand studierte. »Du kannst die Geschäfte von hier aus allein regeln, dazu müssen wir nicht beide anwesend sein.«
»Aber du bist zu alt«, erwiderte Will lachend. »Und wir haben sehr viel zu tun. Außerdem werden sich alle jungen Fahrer melden, so dass wir Leute für die Lastwagen brauchen. Hier, nimm einen Drink und beruhige dich.« Er drückte Roddy ein Glas Jack Daniel’s in die Hand.
»Dann tun wir eben das, was sie im letzten Krieg schon gemacht haben, und holen die Frauen«, erwiderte Roddy, dem einfiel, dass seine Mutter in Washington für die Regierung gearbeitet hatte.
»Das werden die anderen Fahrer nicht zulassen«, sagte Will und setzte sich auf den Schreibtisch.
»Meinst du? Wart’s nur ab, das wird bald als Gesetz verabschiedet. Und ich bin nicht zu alt, um meine Pflicht zu tun. Einer von uns muss gehen, und es ist nur sinnvoll, dass ich das tue. Du bist verheiratet und hast Kinder.«
»Woher kommt dein plötzlicher Sinneswandel? Ich hätte nie gedacht, dass du mal Soldat werden würdest.«
Roddy blickte auf den Fuhrpark hinaus. Kopfschüttelnd dachte er an Selwyns Orden und Medaillen. »Meine Onkel waren beide im Großen Krieg, einer wurde an der Somme getötet und der andere schwer verwundet.«
»Aber sie waren Engländer. Sie mussten kämpfen.«
»Du vergisst, dass auch ich halber Engländer bin. Niemand sieht es gern, wenn jemand arrogant und unverfroren die Show an sich reißt. Es fühlt sich richtig an, meinen Beitrag zu leisten.«
»Und Mädchen lieben einen Mann in Uniform«, fügte Will augenzwinkernd hinzu.
Roddy ignorierte Wills Versuch, die Stimmung zu heben. »Darum geht es nicht. Ich kann nicht glauben, was ich gerade gehört habe. Da kann ich nicht einfach hier sitzen und zulassen, dass diese Typen uns auseinandernehmen.« Er blätterte kurz durch das Auftragsbuch, ehe er es über den Tisch schob. »Du kümmerst dich darum. Ich vertraue dir. Maureen würde mir nie verzeihen, wenn ich dich in den Krieg ziehen ließe.«
»Es wird hier in Akron genug für den Krieg zu tun geben. Du musst nicht für Ruhm und Ehre kämpfen. Wir können uns doch ausrechnen, wie es das Geschäft beeinflussen wird. Wir brauchen zwei Köpfe.« Will seufzte.
»Wie ich schon sagte, hol dir Frauen. Sie werden auch ihren Beitrag leisten wollen. Ich habe mich entschieden.« Er stand auf, als wollte er sofort losziehen.
»Nur eine Stunde nach den Nachrichten? Schlaf besser eine Nacht darüber. Trink noch etwas.«
»Nein, danke. Das muss ich nicht überschlafen. Während wir uns hier bequem zurücklehnen konnten, sind meine Mom und Archie und die anderen in England in den letzten Jahren durch die Hölle gegangen. Ich schäme mich dafür, all dieses Geld zu verdienen, und ein paar Pakete zu schicken reicht bei weitem nicht aus. Wir sind jetzt alle beteiligt. Es wird Zeit, dass ich den Hintern hochkriege und mich melde, bevor sie mich in den Ruhestand abschieben. Ich habe es zu leicht gehabt.«
»So aufgebracht habe ich dich ja noch nie erlebt. Was ist nur in dich gefahren?« Es war, als würde Will eine völlig neue Seite an ihm entdecken.
»Pearl Harbour ist in mich gefahren.«
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