Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
Vom Netzwerk:
waren vielmehr ständige Angst und Entschlossenheit, die ihn vorantrieben, während die Stimme vor ihm immer schwächer wurde. Er sah zwei Männer übereinander kauern, der eine hatte einen Kopfschuss und starrte ungläubig in den Himmel, der andere zitterte vor Schock und hielt sich die Hände auf den Bauch gepresst.
    Es war keine Zeit zu verlieren. Frank drückte dem Verwundeten eine Kompresse auf den Bauch und gab ihm eine Morphiumspritze, während er dem Toten die Augen schloss und ein paar Worte betete, so gut er konnte. »Nein, Pater, er ist Jude«, flüsterte der Verletzte, schon halb benommen. Also betete Frank das Schma Jisrael. Plötzlich fiel ein Schatten auf ihn. Als er aufblickte, sah er den Lauf eines Gewehrs und die graugrüne Hose eines feindlichen Soldaten, der ihn beobachtete. Dann hörte er die Worte, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließen. »Für euch, Pater, ist der Krieg vorbei.«

111
    Italien, 1944
    Captain Roderick Parkes starrte auf den Todesberg, die Hände fest am Feldstecher, die Augen halb geschlossen vor Müdigkeit nach mehreren schlaflosen Nächten unter Beschuss. Zwei Monate lang saßen sie hier nun schon direkt in der Schützenlinie der Zitadelle am Apennin fest. Was war es für eine Hölle gewesen – manche Bataillone waren bis auf wenige Männer abgeschlachtet worden! Wie viel mehr vermochten sie noch zu ertragen, bis sie Santa Maria Infante und die umgebenden Hügel einnehmen und nach Norden vordringen könnten?
    Das Dröhnen von Motoren löste schwachen Jubel aus, als die Kampfflieger das alte Fort niedermähten und vor ihren Augen Gebäude zu Staub und Asche werden ließen. Es war der einzige Weg.
    Roddy hoffte auf Neuigkeiten eines Durchbruchs bei Anzio, aber dort saßen sie fest, und Rom war noch nicht gefallen. Ihr eigener Vorstoß war zum Stillstand gekommen, mitten in diesem gottverdammten Schlamm, in dem sie verzweifelt nach Deckung suchten und einfach nur froh waren, noch am Leben zu sein.
    Er starrte auf die Berge und wusste, dass sie Wochen brauchen würden, um sie einzunehmen. Warum hatte er sich freiwillig zu so etwas gemeldet, wo er doch zu Hause in Sicherheit hätte bleiben können? War es um diesen Moment gegangen, um eine Chance, dem Tod ins Gesicht zu sehen, seine Männer auf die Schlachtbank zu führen, verlaust und verdreckt wie Tiere in Frost und Schnee zu leben? Worum ging es hier eigentlich? In diesem Feldzug kam er sich allmählich vor wie an einer vergessenen Front, alles war voller Berge, Schlamm und Maultiere. Sie hatten ein schreckliches Weihnachten hinter sich, eingepfercht in eine ausgebombte Kapelle, und jemand hatte »Stille Nacht« auf der Mundharmonika gespielt. Roddy empfand so viel Traurigkeit und Heimweh, dass es schmerzte. Alle Soldaten neigten müde die Köpfe, und er spürte, wie ihm die Tränen über das Gesicht liefen. Wie viele von ihnen würden ihr Zuhause nie wiedersehen?
    Über ihnen ragten die Berggipfel auf und schienen sie wie Zyklopen zu beobachten. Durch Zielfernrohre wurde gewissenhaft jede ihrer Bewegungen registriert, und sobald sie sich verrieten, würden sie abgeschossen werden. Während sie nun den Luftangriff und jede flammende Explosion verfolgten, war kein anderes Gefühl als Erleichterung zu spüren, Erleichterung, dass sie verschont geblieben waren. Der Krieg reduzierte den Menschen auf seinen Überlebenswillen, entriss ihm seine Menschlichkeit und sein Mitgefühl. Klöster, Kirchen, Burgen, wunderschöne Bergdörfer wurden niedergemacht, Zeugnisse der Herrlichkeit Gottes – alles musste zerstört werden, wenn sie je den Feind über die Alpen zurückdrängen wollten.
    Als Staub, Rauch und Nebel sich verzogen, konnte Roddy sehen, dass die Bomber ihr Ziel getroffen hatten. Er wusste, dass die Infanterie nun den Vorteil nutzen und vordringen musste, um das bereits verlorene Terrain zurückzuerobern. Vielleicht warteten in den Trümmern des zerbombten Dorfes weitere Trupps der Alliierten darauf, sich zu größerer Kampfkraft mit ihnen zu verbinden. Wenn sie nur als Einheit vordringen könnten!
    »Vorwärts!« Der Kommandant winkte sie voran. »Wir haben da oben einen Stillstand«, rief er, während sie eine ungeordnete Linie bildeten und die Maultiere den zerklüfteten Pfad hinauftrieben in der Gewissheit, dass ihre Verbündeten sie dort oben willkommen hießen.
    Doch dann war es der Colonel selbst, der den Schuss in die Brust bekam, als er schrie: »Feuer einstellen, verdammt! Wir sind Amerikaner!« Die Kugeln

Weitere Kostenlose Bücher