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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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erleiden.
    Sein Colonel witzelte oft, Frank gehe in den Schlachten auf wie ein Mönch im Gebet. Doch er fühlte sich taub und mehr und mehr wie ein Automat, während er von einem Schlammloch ins nächste sprang und sich zum Schutz sofort zusammenrollte. Er hatte sich angewöhnt, eine Armbinde des Roten Kreuzes zu tragen, denn wenn Männer verwundet oder sterbend allein draußen festsaßen, konnte er hingehen und sie retten, ihnen die Letzte Ölung geben oder sie zurücktragen. Nicht alle Feinde waren herzlos. Einige Infanteriesoldaten respektierten seine Handlungen und die Opfer der gegnerischen Seite und stellten dann ihr Feuer ein. Andere nicht.
    Jetzt, nach dem letzten Beschuss, musste er das Schlachtfeld nach Toten und Verwundeten absuchen. Noch lebende Soldaten würde er dann auf dem Rücken in Sicherheit tragen. Es war das Mindeste, was er tun konnte. Sie waren seine Familie, seine Waffenbrüder, und sie brauchten ihn, aber er fragte sich, wie lange er noch die Kraft dazu haben würde, geschweige denn den Mut. Die Beschüsse des »Anzio Annie« genannten deutschen Eisenbahngeschützes kamen immer näher, und seine Gebete wurden immer eindringlicher, je mehr er sich zusammenkrümmte. »Sie beten uns besser ganz hier raus, Pater«, rief jemand.
    Das war jetzt sein Leben – Seite an Seite mit Männern, die ihren Weg nach Norden erkämpften, in durchweichten Stiefeln und Kleidung, die nie mehr trocken wurde. Sie übernachteten im Schlamm und ernährten sich seit ihrer Ankunft in Italien nur von getrockneten C-Rationen. Aber wie sollte man nur in eine Decke gehüllt schlafen, wenn man bis zur Hüfte im Wasser und Morast stand und Kanonenfeuer als Schlaflied hörte?
    Später würde er sein tägliches Ritual erledigen und den Leichen – oder was davon übrig war – die Erkennungsmarken abnehmen, um ihre Identität festzuhalten. Der grässlich süße Gestank des Todes stieg ihm permanent in die Nase. Bei den Leichen zu warten, während die Gräber ausgehoben wurden, war das Schlimmste. Sie legten die Überreste in Reihen nebeneinander und fügten einzelne Arme und Beine bei, so gut es eben ging. Jede Beisetzung war schlimmer als die vorige, weil er die jungen Männer mit jedem weiteren Tag besser kennengelernt hatte, bevor sie in Bruchteilen von Sekunden ausgelöscht wurden. Es war das reinste Massaker.
    Manchmal blieb nur ein einzelner Finger übrig, von dem er dann für die spätere Identifizierung einen Fingerabdruck nahm. Mit jedem Begräbnis, jedem vertrauten Gesicht, das in fremder Erde zurückblieb, fühlte auch Frank etwas in seinem Herzen absterben. Wie konnte er bei solch einer Vergeudung junger Leben noch seinen Segen sprechen? Doch es war seine Arbeit, seine Aufgabe. Wenn die Plane über die provisorischen Gräber gezogen wurde, war es Zeit, sich den zahllosen Kondolenzschreiben zu widmen, die er verfassen musste. Manchmal war er so erschöpft, dass er den Stift nicht mehr bewegen konnte, stundenlang ins Nichts starrte und um die Kraft bat, diese elende Aufgabe immer wieder aufs Neue zu erfüllen.
    Sie hielten sich vor den mächtigen Geschützen in den Albaner Bergen versteckt, nicht in der Lage, vorzudringen. Nur ein Luftangriff könnte die feindlichen Truppen aus dieser vorteilhaften Stellung vertreiben. Der Feind war auf jede Bewegung am Brückenkopf fixiert, was dort einen Fortschritt unmöglich machte.
    Wenn er es einmal schaffte zu schlafen, wurde er von Albträumen geplagt; dann sah er einen jungen Mann, der die britische Flagge umklammert hielt und um sein Leben bettelte. »Lassen Sie mich nicht sterben, Padre. Ich will nicht sterben.« Und er konnte nichts weiter tun, als dem Jungen die Hand zu halten, bis seine Augen glasig wurden und er in gnädige Bewusstlosigkeit sank. Im Schlaf sah Frank erneut den deutschen Soldaten, der ein Foto seines Kindes an die Lippen hob und weinte. »Pater, helfen Sie mir, hören Sie meine Beichte.« Er hatte mit ihm gebetet und ihm die Letzte Ölung gegeben, so wie er es mit seinen eigenen Kameraden getan hätte. Wie sollte er wissen, ob dieser Mann freiwillig gekämpft hatte oder zwangsweise eingezogen worden war und den Krieg, die Schmerzen und Schlachten hasste?
    Einige der Truppen fluchten, wenn sie ihn sahen – »Hauen Sie ab! Gehen Sie woandershin. Wir wollen Sie hier nicht!« – aber es war die Ausnahme. Meistens waren sie erleichtert, wenn er auftauchte wie ein Spürhund, der ihr Versteck witterte, wenn er Briefe verteilte, Nachrichten überbrachte, ihre

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