Schiff der tausend Träume

pfiffen ihnen nur so um die Ohren, als sie aus dem Hinterhalt angegriffen wurden – sie waren umzingelt und in der Unterzahl. Roddy spürte Schweiß auf der Stirn, die Hände feucht vor Angst. Das war es also, ein sinnloses Ende auf einem dreckigen Abhang in einem fremden Land, dessen Sprache er nicht verstand.
    Was für ein verdammter Schlamassel! Sie hatten ihre Männer geradewegs in die Falle tappen lassen. Jetzt würden sie alle erschossen werden, und er konnte nichts weiter tun als beten.

112
    Dezember 1943
    Eine weitere Kriegsweihnacht stand bevor, und erneut galt es, mit wenig auszukommen und zu improvisieren. Jedes Jahr wurde es schwerer, den nötigen Enthusiasmus aufzubringen, andererseits war jetzt Clare da, die im Dezember noch dazu Geburtstag hatte. Die gespannte Erwartung eines Kindes hob definitiv die Stimmung. Clare war noch zu klein, um zu begreifen, um was es ging, dennoch wurde der Advents- und Weihnachtsschmuck ausgepackt, so schlaff die Papiergirlanden und so angeschlagen die Christbaumkugeln auch sein mochten. Sie hatten ausreichend Trockenobst, Zucker und kostbare Zitronenschale gehortet, um einen einigermaßen schmackhaften Früchtekuchen backen zu können.
    Alles, worauf Ella inständig hoffte, war gutes Wetter, damit Anthony für ein paar Tage nach Hause kommen könnte. Seit er zum Schutz der Küsten zur 144 . Staffel im Norden Schottlands versetzt worden war, hatte er nur noch selten und unregelmäßig frei. Er hatte ihr gesagt, er spähe jetzt U-Boote aus, um Angriffe auf die Schiffe der Alliierten zu verhindern, die von Schottland herüberkämen. Sein letzter Brief hatte nicht sehr vielversprechend geklungen.
    Liebste,
    sei bitte nicht enttäuscht, wenn ich nicht rechtzeitig kommen kann. Du weißt ja mittlerweile, wie das ist. Ich habe kaum Zeit, meine Mütze in die Ecke zu werfen, da muss ich mich schon wieder aufmachen und gehen, aber ich werde es versuchen.
    Wegen letztem Mal tut es mir leid. Was hätte ich tun sollen? Die Jungs wollten Dich so gern kennenlernen und mal etwas anderes sehen. Ich wusste, dass Du nichts dagegen haben würdest, sie für ein paar Nächte bei uns aufzunehmen; ich hätte Dich allerdings vorwarnen müssen. Sie waren dann leider recht laut und haben Clare geweckt und uns die Nacht verdorben. Du hattest jedes Recht, böse zu sein, dass wir nicht mehr Zeit miteinander verbringen konnten. Ich verspreche, nicht wieder so gedankenlos zu sein, aber meine Männer und ich sind auch eine Art Familie, und es fällt mir schwer, sie allein zurückzulassen. Manchmal vergesse ich, dass ich eine richtige Familie habe, die ich an meinen freien Tagen genießen sollte. Ich habe auch meine Eltern vernachlässigt, aber wie ich höre, werden sie Euch über Weihnachten besuchen. Wir alle unter einem Dach – das wird wunderbar!
    Hier ist es grässlich. Ständig Wind und Regen und Kälte, aber wir leisten gute und wichtige Arbeit mit unseren Erkundungsflügen. Ich darf nicht sagen, wo, aber Du wirst es Dir sicher denken. Ich habe ein Extratraining absolviert und wünschte nur, es wäre hier nicht ganz so unwirtlich. Wenn ich Dich doch nur jede Nacht in meinem Bett haben könnte, zum Wärmen! Den Männern hier bleibt nicht viel anderes als zu trinken, zu lesen und mit den weiblichen Hilfskräften der Luftwaffe zu flirten. (Keine Sorge, keine von ihnen kann Dir das Wasser reichen.) Ich zähle die Wochen, bis ich mich in den Schlafwagen Richtung Süden setzen kann. Bete darum, dass kein Schnee fällt, der das verhindert.
    Es gibt Gerüchte, dass sie eine Stelle für mich beim Bodenpersonal haben. Ich schätze, ein dritter Einsatz wäre ziemlich gefährlich, aber gerade meine Erfahrung ist es, die den neuen Soldaten bei ihren ersten Flügen hilft. Um in einer dunklen Nacht Torpedos auf U-Boote abzufeuern, braucht man Training und Übung. Diese jungen Kerle wecken meinen Beschützerinstinkt. Sie kommen frisch aus der Schule, sind noch grün hinter den Ohren und so enthusiastisch, dass sie ohne ordentliches taktisches Training ganz schnell verloren sind. Gut, ich kann ihnen auch am Boden so einiges beibringen, aber wir werden sehen, wie die Dinge im nächsten Jahr laufen.
    Ich habe übrigens gehört, dass auch Simon Russell-Cooke irgendwo hier oben ist. Die Welt ist klein. Schick seiner Mutter doch eine Karte. Unsere wunderbare Hochzeitsreise werde ich nie vergessen!
    Gute Nacht, mein Liebling. So Gott es will, werden wir uns bald sehen. Liebe Grüße an alle Foresters. Hast Du etwas