Schiff der tausend Träume
Nachzügler herausgetreten war. Niemand kam mehr. Er musste die Passagierliste suchen und sich vergewissern. Konnte es wahr sein? War niemand mehr auf diesem Schiff geblieben? Seine Frau und sein Kind waren verloren, und es war seine Schuld. Wäre er wie geplant nach Italien zurückgekehrt, hätte er sie selbst herüberholen können. Wie sollte er ihrer Familie in der Heimat nur diese traurige Nachricht beibringen?
Seine Beine zitterten, als er den Ankunftsbereich absuchte, suchte und suchte … Da musste ein Fehler vorliegen. Er lief zu jedem Ausgang und bat die Stewarts flehentlich, sich sein Foto anzusehen. Sie mussten hier irgendwo sein. »Bitte … bitte, meine Frau, meine
bambina
«, bettelte er, bis die Bediensteten ihn verscheuchten.
»Sie sind alle weg, Kleiner. Geh nach Hause. Nur die Besatzung ist noch übrig.«
»Aber sind Sie sicher? Schauen Sie sich meine Frau an.«
Er lief den Kai auf und ab, schrie »Maria!«, bis er wie ein Betrunkener in sich zusammensackte, die Augen blind vor Tränen. Eine Dame in schwarzem Schleier half ihm auf die Beine. Er schritt den Weg ab, den die Überlebenden vom Schiff herunter genommen hatten, vorbei an anderen, die unter ihrem Kummer zerbrochen waren, bärtige Männer, die laut wehklagten. Auf einmal entdeckte er etwas auf dem Boden, einen weißen Fleck. Es war eine
scarpetta
, ein Babyschuh aus Spitze, die Art, wie sie seine Mamma und Maria herstellten, ein Muster, das er überall erkennen würde.
Er hob ihn auf und nahm ihn genau in Augenschein. Ja, es war fein gearbeitete italienische Spitze über einem kleinen Stoffschuh, so wie sie die Frauen in seinem Dorf für ihre kleinen Kinder herstellten. Spitze hatte ihn sein Leben lang begleitet. Auf diese Weise verdienten sich die Frauen zusätzlich Geld auf dem Markt. Dieses Muster stammte aus ihrer Gegend. Sein Herz tat einen Sprung.
Angelo lächelte, zutiefst erleichtert. Er musste sie in der Menge verpasst haben. Sie waren angekommen und an ihm vorbeigegangen. So musste es sein. Er steckte den Babyschuh in seine Tasche und machte sich mit eiligen Schritten auf den Weg zum Wohlfahrtsstand. Heilige Mutter Gottes, sie waren doch nicht tot!
»Maria, Alessia, wo seid ihr? Ich bin hier. Ich habe gewartet. Schau, die Kleine hat ihren Schuh verloren. Ich habe ihn gefunden«, rief er in die Menge.
»Komm schon, mein Sohn«, sagte ein Priester, den er nicht kannte, und versuchte, ihn zu trösten. »Das ist nur ein Schuh. Nimm es nicht so schwer.«
»Nein, es ist der Schuh meines Kindes. Es ist … Sie gehen bestimmt zu meiner Adresse.«
Von Hoffnung beflügelt, schob Angelo sich durch die Menge. Wenn er zur Baxter Street kam, würden sie schon da sein. Ausgesperrt, verärgert vielleicht, aber sie wären am Leben. Es war nass und kalt. Er musste sich beeilen. Er wollte sie nicht noch einmal verlieren.
25
In den darauf folgenden Tagen wurden May und Celeste mit Freundlichkeit und Hilfsangeboten überschüttet. Die unerschütterlichen Matronen des Hilfskomitees trafen mit zahllosen Proviantkisten ein. Freundlichkeit war tatsächlich eine Untertreibung angesichts des Mitgefühls, das ihnen entgegengebracht wurde.
»Seht euch die hier an!«, rief May durch den Raum. »Sie sind neu!« Kleidung in allen Formen und Größen traf ein, hochwertige Sachen, einige nagelneu aus Geschäften, die ganze Kleiderständer mit Blusen, Wolljacken, Hosen gespendet hatten, eine Schachtel Korsetts und Unterwäsche, Handschuhe und Strümpfe. Strumpfhalter und Strapse gab es, sogar Haarnadeln und Stiefel in allen Größen, mit Spitze oder Knopfhaken, und eine Kiste mit diskreten Binden, für die May dankbar war. Infolge der Anstrengung war ihre Monatsblutung früher eingetreten.
Ein Gewühl entstand, als Frauen Kleider und Schuhe anprobierten und nach der richtigen Größe riefen.
Einen Moment lang waren sie nur Frauen, die auf einen Spielzeugladen losgelassen wurden. Jede bekam einen Koffer nebst einer Beileidskarte von Mitfühlenden. Tatsächlich waren Hunderte Karten und Briefe an das Star Hotel in der Clarkson Street geschickt worden, in dem May mit Celeste wohnte, zusammen mit vielen anderen gestrandeten Überlebenden.
»Heute Abend findet in der Kathedrale ein Gedenkgottesdienst statt. Wir sollten daran teilnehmen«, schlug Celeste vor.
»Der wird nicht für meinesgleichen sein. Im Übrigen lasse ich Ella nicht bei Fremden.«
»Warum nicht für Sie? Und nehmen Sie die Kleine mit. Es wird der Sache helfen, wenn die Gemeinde echte
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