Schiff der tausend Träume
Sie ist hier. Ich weiß es. Sie ist entführt worden, oder noch schlimmer …« Er schritt wieder auf und ab.
»Hör damit auf, mein Sohn. Aus dir spricht der Kummer. Es ist jetzt über eine Woche her. Du musst dich der Wahrheit stellen. Sie haben nicht überlebt.«
Angelo legte sich die Hände über die Ohren. »Ich will das nicht hören. Sie leben, mein Kind lebt. Jemand hat es gestohlen.«
»Oh, Angelo, du solltest dich hören. Du sprichst wie ein Wahnsinniger. Dadurch wird dein Schmerz nicht leichter. Komm zur Messe, zur Gedenkfeier, triff andere, denen es so geht wie dir, und die versuchen, tapfer zu sein.«
»Wie kann ich zu einem Gott beten, der Familien zerstört?«, fragte er und wandte sich zornig an den Pater.
»Er hat die
Titanic
nicht versenkt. So weit ich gehört habe, ist sie von allein gesunken. Er hat das Meer beruhigt und die Überlebenden in Sicherheit gebracht. Es heißt, der Ozean sei wie ein Mühlenteich gewesen. Gib Gott nicht die Schuld, sondern der Konstruktion des Schiffes«, antwortete der Pater und versuchte ihn zu beruhigen. »Du musst weitermachen, wie Maria es gewünscht hätte.«
»Wofür soll ich denn jetzt noch leben?« Angelo schlug sich auf die Brust.
»Mein Sohn, du hast dein Leben und deinen Atem, was andere nicht haben. Das Warum ist mir ein unbegreifliches Rätsel; warum einige gerettet wurden und andere ertranken. Der Untergang wird untersucht werden. Die Wahrheit wird herauskommen. Bis dahin sei tapfer. Salvi und Anna machen sich solche Sorgen um dich. Ich habe ihnen gesagt, es sei noch früh, aber du bist jung und stark. Enttäusche mich nicht. Nimm hin, was nicht zu ändern ist.«
Angelo nickte höflich. Diese Worte ergaben einen Sinn in seinem Verstand, nicht aber in seinem Herzen. Darin lag noch zu viel Hoffnung.
27
Celeste und May verabschiedeten sich gerührt am Kai, bevor die
Celtic
ablegte.
»Wie soll ich Ihnen nur danken?«, weinte May und klammerte sich an Celeste. »Sie haben uns das Leben gerettet. Ich werde Sie nie vergessen.«
»Wir sind jetzt Schwestern.« Auch Celeste kamen die Tränen. »
Titanic
-Schwestern, verbunden durch das, was wir in jener Nacht erlebt haben. Sie müssen mir schreiben und erzählen, wie Sie in Lichfield zurechtkommen. Versprechen Sie mir, zu schreiben, und vielleicht werde ich, so Gott will, mit Roddy hinüberkommen, und wir werden uns wiedersehen. Wenn ich Ihnen schreibe, werde ich an meine Heimat denken. Sie werden meine besondere Verbindung sein.«
May versuchte ein Lächeln. »Ich vermute, Sie werden mit Ihren Ausschüssen sehr beschäftigt sein. Sie müssen nicht schreiben, wissen Sie. Ich werde Ihre Freundlichkeit nie vergessen. Oh, und sagen Sie Ihrem Mann danke für sein Einverständnis, dass Sie mir Beistand leisten durften. Er muss sie schon sehnlichst erwarten.«
»Ich werde schreiben, und ich werde Ihnen ein Foto von Roderick schicken, und Sie müssen mir ein Bild von sich und Ella schicken. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Menschen vergessen, was mit der
Titanic
passiert ist. Sie müssen allen zu Hause erzählen, was Sie gehört und gesehen haben, alles, ob gut oder schlecht. So etwas darf nie wieder geschehen.«
Sie schauten beide an dem Linienschiff hoch, und May schauderte vor Angst.
Celeste zögerte noch. Warum wollte sie nicht, dass May fuhr? »Sie müssen nicht so schnell aufbrechen. Sie können noch bleiben und wieder zu Kräften kommen, bevor Sie sich einer neuen Seereise stellen. Ich weiß, was Sie denken: wie soll ich je wieder ein Schiff betreten?«
May versuchte, tapfer zu sein, und schüttelte zaghaft den Kopf. »Ich möchte einfach nur von hier weg und nach Hause. Für uns gibt es hier keine Zukunft. Wir kommen schon zurecht, jetzt, da Sie mir einen Anfang ermöglicht haben. In unserem Heimatland wird es uns besser gehen, nehme ich an.«
»Hier.« Lächelnd drückte Celeste ihr einen silbernen Flakon in die Hand. »Den hat mir jemand an Bord gegeben, damit ich mir Mut antrinke. Nehmen Sie ihn mit. Es ist guter französischer Cognac. Der wird Sie wärmen und Ihnen beim Einschlafen helfen.«
»Danke, aber ich habe im Leben noch nie Schnaps probiert, also fange ich jetzt nicht damit an. Mit süßem Tee und Kakao schaffe ich es schon.« May gab den Flachmann zurück.
»Sie sind so eine tapfere Frau, May. Ich bin stolz, Sie kennengelernt zu haben. Wie können Sie nur so ruhig bleiben?« Celeste rang sichtlich um Fassung.
»Sie gibt mir die Kraft weiterzumachen.« May deutete mit einem
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