Schiff der tausend Träume
Witwen und Waisen vor Augen hat, die ihr Geld brauchen.«
»Ich bin weder ein Fall für Mildtätigkeit, noch lasse ich mich als Monstrosität ausstellen«, fuhr May sie zornig an.
»Seien Sie nicht so empfindlich. Die wollen doch nur helfen und das Gefühl haben, gebraucht zu werden. Alle wollen den Überlebenden zur Seite stehen. Ein Blick auf Ella wird ihre Geldbeutel weit öffnen.«
»Ich möchte lieber nicht.«
Celeste wandte sich ab und biss sich auf die Lippe. »Bitte, wie Sie wollen, ich versuche nur zu helfen.«
May konnte Celeste ansehen, dass sie gekränkt war.
»Sie sind so freundlich gewesen, aber ich glaube, Sie sollten sich lieber auf den Heimweg machen, um Ihren kleinen Jungen zu sehen. Mr Bryden hat schon zweimal hereingeschaut, als Sie unterwegs waren. Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich es sage … aber anscheinend ist er der Meinung, dass er Ärger bekommt, wenn Sie nicht bald aufbrechen. Er hat mir gesagt, Mr Parkes möchte, dass Sie so schnell wie möglich zurückkommen und lasse sich nicht gern in seine Schranken verweisen.«
»Er kann noch ein wenig warten. Hier werde ich auch gebraucht. Ich werde Grover anrufen und es ihm erklären.«
So wie May es sah, genoss Celeste jede Minute ihres Aufenthalts in New York, ging zu Sitzungen, sprach mit Zeitungsreportern, regte zu Kommentaren an. Sie musste nicht ihren Lebensunterhalt verdienen oder sich um die Zukunft sorgen. Sie kamen aus unterschiedlichen Welten, und das zeigte sich allmählich.
»Gehen Sie zum Gottesdienst. Ich bin müde. Heute Abend bin ich keine gute Gesellschaft. Ich brauche jedes Quentchen Kraft, um den Tag zu überstehen.«
Überall in Manhattan gab es Veranstaltungen zur
Titanic
-Katastrophe; Gedenkabende waren in jedem Bezirk organisiert worden; episkopalische, presbyterianische, katholische Kirchen öffneten gastfreundlich ihre Tore. Celeste gab immer wieder Interviews zugunsten des Hilfskomitees und versuchte dabei, noch mehr Spenden zu sammeln, solange das Interesse lebendig war.
Unter den Überlebenden herrschte Kameradschaftlichkeit, benommen und erschöpft tauschte man sich immer wieder seine Geschichten aus. Alle saßen dichtgedrängt in Gruppen zusammen, doch May hatte sich zunächst ausschließlich an Celeste gehängt, wenn sie Trost brauchte. Jetzt aber wurde ihr klar, dass sie sich allein durchschlagen musste.
Ella war quengelig, denn sie spürte die Veränderung und den Wirbel. Sie war nicht mehr sanftmütig und schläfrig, sondern sah alle mit ihren großen Augen an. Da sie wie eine kleine Prinzessin gekleidet war, fand sie viel Beachtung und wurde herumgereicht, was den anderen Witwen Trost spendete, wie May wusste, obwohl sie das Kind am liebsten bei sich behalten hätte.
Die Beamten der Wohlfahrt kamen und nahmen ihre Daten auf. Sie setzten May darüber in Kenntnis, dass in der folgenden Woche auf der
Celtic
eine Überfahrt nach England möglich sei, falls sie sich entscheiden sollte zurückzukehren.
»Gibt es jemanden, den wir für Sie informieren sollen?«, fragte der Beamte.
May schüttelte den Kopf. »Alles, was ich liebe, liegt auf dem Meeresgrund«, erwiderte sie, und er verneigte sich mitfühlend. »Liverpool wäre prima. Danach komme ich allein zurecht.«
Celeste wollte davon nichts hören. »Nein, das wird sie nicht. Mrs Smith wird alle Formulare ausfüllen und bekommen, was ihr und ihrem Kind von der White Star Line und aus den Hilfsfonds zusteht.« Sie wandte sich an May. »Sie müssen eine Nachsendeadresse schicken, um die Reederei auf dem Laufenden zu halten. May, Sie müssen verstehen, dass Sie als Angehörige auf jeden Fall Unterstützung beantragen sollten.« Und wieder zu dem Beamten: »Sie hat jetzt keinen Mann mehr und kein Hab und Gut, nichts. Ihr Bürge in Idaho ist benachrichtigt worden, aber Mrs Smith hat jetzt nicht den Wunsch, in Amerika zu bleiben.«
May hatte weder die Kraft noch das Selbstvertrauen, für sich selbst einzutreten. »Ich will nur nach Hause, aber ich kann nicht darüber nachdenken, was jetzt zu tun ist. Ich kann nicht nach Bolton zurück, nicht ohne Joe. Ich will die Gesichter der Leute nicht sehen, die uns beide gekannt haben. Ich weiß nicht weiter.«
»Aber ich«, sagte Celeste. »Ich habe eine Idee. Wenn Sie wirklich von vorn anfangen wollen, dann habe ich die Antwort, glaube ich, aber zuerst möchte ich Ihnen ein paar Stellen in dieser großartigen Stadt zeigen. Sie müssen sich den Central Park ansehen.«
»Muss das sein?«
»Es
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