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Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
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geben, da unser Hilfskomitee die Sache in die Hand genommen hat. Wenn es um Notfälle geht, können Amerikaner hervorragend organisieren, sie stecken voll Pioniergeist, und wir haben an Bord bereits Tausende Dollar gesammelt.«
    Kurz darauf wurde Celeste fortgedrängt, drehte sich aber zu May um und winkte. »Ich warte am Ausgang auf Sie.« May war sich dessen nicht so sicher. Sobald sie sich in der liebevollen Umarmung ihres Mannes befand, würde man sie im Handumdrehen wegbringen, und das wäre das Ende dieser eigenartigen Freundschaft. Am besten hielt sie sich an ihren eigenen Plan und mied die Gesellschaft anderer. Sie wären einfach nur Schiffe, die in der Nacht aneinander vorbeifuhren, und die Bitterkeit dieser Worte erschütterte sie. An Bord hatte sie Gerüchte von anderen Schiffen gehört, die nicht zu ihrer Rettung gekommen waren. Wenn, dann wären mehr Menschen gerettet worden.
    Noch immer bestand die Möglichkeit, dass Ella eine Familie hatte, die auch sie am Ausgang zu sich nehmen würde. May hatte während der scheinbar endlosen Fahrt auf der
Carpathia
daran gedacht und sich eine Geschichte für sie zurechtgelegt. Besser, wenn Celeste nichts davon erfuhr.
    Erst kurz vor Mitternacht, fast eine Stunde, nachdem Celeste das Schiff verlassen hatte, gingen die Überlebenden der dritten Klasse an Land. Man hatte ihnen Fahrkarten gegeben, Gutscheine und ein paar Dollar. Plötzlich wurde May nervös, klammerte sich an die Gangway und hatte Angst, das Schiff zu verlassen. Die Beine verweigerten ihr den Dienst, und ihr wurde schlecht.
    »Ich kann nicht gehen«, flüsterte sie der Stewardess zu, die hinter ihr stand.
    »Doch, das können Sie«, lautete der Befehl. »Hier gibt es nichts für Sie, meine Gute.«
    Und ob: ihre letzte kostbare Verbindung mit Joe. Wenn sie von Bord der
Carpathia
ging, würde sie Joe und Ellen für immer hinter sich lassen. Wie konnte sie ohne die beiden in einem fremden Land ankommen? Abermals überwältigte sie die enorme Tragweite dessen, was sie tat. Wartete jemand am Kai auf Ella und ihre Familie? Jemand, der dieses Kind erkennen würde? In jener Nacht waren so viele Väter umgekommen, aber wenn die Mutter nun allein gereist war und ihr Mann hier wartete und verzweifelt nach seiner Familie Ausschau hielt?
    Sie drückte Ella fest an sich und bedeckte ihren Kopf mit dem Häubchen. Ich kann dich jetzt nicht loslassen … Doch sie wusste, dass sie vielleicht dazu gezwungen war.
    Angelo beugte sich über die Barriere und winkte mit dem zerknitterten Foto seiner Geliebten, das er stets am Herzen trug. »Meine Frau … Frau. Haben Sie meine Frau gesehen?«, rief er auf Italienisch. »Maria Elisabetta Bartolini! Ich bin hier, hier drüben!«
    »Stellen Sie sich an den Ausgang B, Junge … Sie kommen getrennt nach dem Anfangsbuchstaben des Familiennamens. Da drüben«, sagte ein Gepäckträger und zeigte auf eine Reihe von Ausgängen, welche die Passagiere einzeln herausließen. »Der hier ist W wie Wagner«, fügte er hinzu.
    »
Non capisco
 …« Angelo war verwirrt. »Nicht verstehen.
Dove Titanico?
Wo ist das große Schiff?«
    »Das ist die
Carpathia
, mein Freund. Sie hat die Überlebenden aufgenommen. Wenn sie nicht dabei ist …« Der Gepäckträger schüttelte den Kopf. »Tut mir leid.«
    Angelo schüttelte den Kopf. »Nein, nein … Meine Frau, mein Kind, wo sind sie? Wie soll ich denn ohne sie leben? Sie muss hier sein. Mutter Gottes, bitte hilf mir!«

24
    Während sie langsam über die Gangway an Land gingen, gelang es May, ihre Erstarrung zu überwinden und zu den anderen aufzuschließen. Sie sah winkende Mengen von Zuschauern, die man zurückgedrängt hatte. Niemandem war gestattet, so nah heranzukommen, um neugierige Blicke auf jene zärtlichen Momente des Wiedersehens zu werfen, die den Glücklichen beschert waren.
    May zog zögernd Ellas Spitzenhäubchen ab, um ihr Gesicht freizulegen und das gewinnende Lächeln, das auch das kälteste Herz erwärmt hätte. Langsam ging sie am Rand der Passagiere auf die Barrieren zu, schob sich an dem eingefassten Bereich für Verwandte entlang und lauschte ängstlich nach einem Aufschrei des Wiedererkennens. Absichtlich stellte sie ihr Kind zur Schau, doch niemand hielt sie auf oder erhob Anspruch auf das Kind. Männer reckten Fotos in die Höhe und riefen etwas in fremden Sprachen, als sie vorübergingen.
    Ella begann zu weinen, verängstigt vom Lärm, den hellen Lichtern und den vielen Menschen ringsum. May schlug das Herz bis zum Hals.

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