Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schiff der tausend Träume

Schiff der tausend Träume

Titel: Schiff der tausend Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leah Fleming
Vom Netzwerk:
gepasst und ihre Unschuld und Naivität ihn in seinem Verhalten bestärkt hatten, das er so lange ungehindert aufrechthalten konnte.
    May hatte seit Celestes Flucht ihren Teil dazu beigetragen, Grover auf die falsche Fährte zu locken, da sie Celestes Briefe weiterleitete, als kämen sie aus England. Briefe in seiner Handschrift, von ihren Anwälten, von Harriet, stapelten sich ungelesen, bis Celeste sich ihnen stellen konnte. Er würde sie während des Krieges nicht verfolgen, doch wenn der Frieden kam, würde er sie vielleicht suchen. Sie musste auf der Hut bleiben.
    Als sie in Washington, D. C. , eintrafen, war Celeste verzweifelt in den Büros der Vereinigung für Frauenrechte aufgetaucht. Die Frauenbewegung hatte erlebt, dass mit Verhaftungen und Zwangsernährung gegen Mitglieder vorgegangen wurde, und so hatte man ein sicheres Haus eingerichtet, in dem Frauen sich von ihren Torturen erholen und untertauchen konnten. Sie hatte sich als Mädchen für alles angeboten, um ein Bett für sich und Roddy zu bekommen. Der Zustand, in dem einige ihrer Freundinnen eintrafen, schockierte sie zutiefst. Das war viel schlimmer als alles, was sie ertragen hatte: ausgelaugte Körper, geschwollene Kehlen, Augen, aus denen Angst und Pein sprachen – hätte sie da kein Mitleid empfinden sollen? Roddys Anwesenheit war für einige der älteren Frauenrechtlerinnen ein Quell der Belustigung und half ihnen, für eine oder zwei Stunden ihr Leid zu vergessen.
    Die Teilzeitarbeit im Büro verschaffte Celeste Kontakt zu tapferen, alleinstehenden Frauen, die mit allen Konventionen gebrochen hatten. Sie waren militant, laut und mutig in ihrem Kampf um Stimme und Rechte für weibliche Angestellte. Sie fragte sich, ob auch nur eine von ihnen sich der Demütigung unterworfen hätte, die sie selbst so lange zugelassen hatte. Sie hatten Gefängnis und öffentlichen Hohn für die Sache ertragen, gestützt durch Freundschaft. Celeste hatte sich so lange nach der Gesellschaft von aufrechten Frauen gesehnt.
    »Wenn ihr eure Hand auf den Pflug legt, könnt ihr sie erst wegziehen, wenn ihr am Ende der Furche angekommen seid«, pflegte ihre Anführerin Alice Paul zu sagen.
    Celeste hatte ihre Hand an dem Abend daraufgelegt, als sie aus Halifax geflohen war, den Zug in den Süden nach Washington genommen und schriftlich um Margaret Tobin Browns Rat gebeten hatte. Sie hatten sich im Foyer des Willard Hotels getroffen, inmitten der Pracht von Marmorsäulen und glänzenden Böden. Ihre Worte hatten Celeste den Mut gegeben, den Traum von einem neuen Leben zu wagen und zu gestalten.
    Bisher hatte Grover sie nicht aufgespürt, aber sie blieb stets wachsam. Er würde sich Roddy schnappen, nicht sie. Celeste nahm an, dass er Privatdetektive anheuerte, um sie in England aufzuspüren, aber wo sollte sie sich in den Vereinigten Staaten besser verstecken als in der Hauptstadt, unter den Menschenmengen. Ihr stand es frei, zu arbeiten, und sie lernte sich durchzuschlagen.
    Nur May kannte die Wahrheit, und sie tat ihr Bestes, um so gut wie möglich Neuigkeiten von der Familie zusammenzutragen, während sie Celeste nicht drängte, mit langen Briefen zu antworten. Jetzt musste Celeste ihrem Sohn zuliebe eisern durchhalten und in diesem neuen Leben ihre Hand am Pflug halten. Seine Zukunft war ihrem Freiheitsdrang geopfert worden. Sie konnte es sich nicht leisten, ihn auf eine Privatschule zu schicken. Er wurde rauer, zäher und trotziger, und zuweilen sah sie Grovers Gereiztheit in seinen Augen aufblitzen.
    Was sollte sie sonst tun? An einem Donnerstag und abends verdiente sie mehr als bei der bescheidenen Büroarbeit, der sie die ganze Woche nachging. Das ermöglichte ihnen anständige Kleidung und eine angemessene Wohnung in einem sicheren Viertel. May hatte ein paar kostbare Porzellanstücke in ein Paket gepackt, die tatsächlich unversehrt ankamen, sehr von ihren Schülerinnen bewundert. Sie rochen noch nach zu Hause, Andenken, die sie verkaufen musste, wenn schwere Zeiten anbrachen.
    Sie hielt sich von den wenigen jungen Engländerinnen fern, denen sie in der Kirche über den Weg lief. Sie waren in heller Aufregung über eine neue Kathedrale und damit beschäftigt, Spenden zu sammeln. Celeste hatte weder das Geld noch Interesse an dem Bau, so prächtig er auch sein würde. Sie sehnte sich nach dem uralten Frieden des Kirchenschiffs von Lichfield. Ihr englischer Akzent erinnerte sie an die Heimat, und sie würde sich erst entspannen, wenn sie und Roddy die

Weitere Kostenlose Bücher