Schiffe versenken
Schlamm eingesunken. Jetzt musste er schleunigst ins Landesinnere verschwinden. Er kaute versuchsweise an einem Stückchen getrockneten Fisch, schluckte dann in einem Anfall von Heißhunger alles hinunter und spülte mit einem Schluck Wasser nach. Vor sich sah er nur ein paar Palmen und Gestrüpp. Die Morgenluft schmeckte nass und frisch und schenkte ihm neue Hoffnung. Ab jetzt konnte er mit der Suche beginnen, er befand sich irgendwo zwischen Muntok und vier armseligen Lichtern im Osten. Zunächst brauchte er Klamotten und dann ein Telefon. Er beschloss, sich nach der Straße umzusehen, die vermutlich die beiden Ortschaften verband, und fand auch bald eine miese Landpiste, die im Morgenlicht hell durch die Bäume schimmerte. In der Deckung des Gebüschs hielt er sich rechts, wo er das Dorf vermutete.
Hamnet hatte bereits ein paar Kilometer zurückgelegt, als er Stimmen hörte. Vorsichtig schob er sich so weit zur Straße vor, dass er etwas sehen konnte, aber dennoch in Deckung blieb. Zuerst sah er einen Verkaufsstand – ein erbärmliches Brettergebilde mit Colaund Marlboro-Werbung an rostigen Nägeln. Dann entdeckte er ein junges westliches Pärchen auf den Holzstufen: farbenfrohe T-Shirts, gebatikte Hosen; sie plauderten und lachten, aber nicht in Englisch, sondern in einer Sprache, die er nicht kannte. Neben der Bude parkte eine Honda mit Satteltaschen, die lose über den Sitz geworfen waren und offen standen. Auf einer Seite hing ein offener Rucksack, in dem er ein paar Klamotten sah. Hamnet grinste – schließlich brauchte er nicht mehr als ein Hemd und neue Shorts oder eine Hose, um wieder am Leben teilzunehmen.
Leise kämpfte er sich durchs Gebüsch. In der offenen Hintertür des Verkaufsstands hing ein Vorhang aus Plastikschnüren, der leicht in der Morgenbrise wehte. Ins Innere konnte Hamnet leider nicht hineinsehen. Zehn Meter musste er übers offene Gelände, also suchte er den fast trockenen Grund mit Blicken nach Dingen ab, auf die er treten oder woran er stoßen könnte, denn nichts durfte unter seinen Füßen unvermutet knacken und knarren. Keine Gefahr. Er lauschte dem Gespräch, bis es etwas lauter wurde, und rannte dann schnell zu dem Motorrad, zog an der Verschnürung und griff nach dem Rucksack.
In der Hütte ertönte Gelächter – verdammt nah. Dann wurde es wieder still. Hamnet zögerte und wartete darauf, dass das Gespräch wieder aufgenommen würde. Ein Geräusch irritierte ihn, und er wollte sich schon den Rucksack schnappen und zurückrennen – da hörte er die junge Frau auflachen. Hell und glücklich. Eine Sekunde später war er wieder im Gebüsch verschwunden. Er rannte ein paar hundert Meter geradeaus, wandte sich nach links und verfiel fünf Minuten lang in einen Dauerlauf. Niemand war hinter ihm her.
Erschöpft warf er den Rucksack auf die Erde und ließ sich daneben zu Boden fallen, lehnte sich gegen den Stamm einer Palme, wischte sich den Schweiß aus den Augen und starrte die Beute an. Kopfschüttelnd und zögerlich öffnete er das Ding. Er entdeckte Waschzeug, einen Reiseführer, eine Flasche mit Trinkwasser, die er in Sekundenschnelle leerte, ein paar große weite Männerhemden und Jeans, eine Hand voll Dollars und Rupien, die in einen Bikini eingewickelt waren – Geld für den Notfall. Hamnet beschloss, dass seine Lage nichts anderes als ein Notfall war, fühlte sich aber trotzdem schuldig, umso mehr als er zwischen den Seiten eines Taschenbuchs ein paar Briefe fand. Die Adresse in Amsterdam verriet ihm, dass es sich um Holländer handelte, den Rest konnte er nicht lesen. Er stopfte alles zurück, zog die Schnur zusammen, lud sich den Rucksack wieder auf den Rücken und kämpfte sich weiter voran in Richtung Ost.
Er hatte Glück: Der schattige Fluss, das Süßwasser und der steinige Grund lieferten ihm ideale Bedingungen. Im Waschzeug fand er eine After Sun Lotion, als sein Gesicht zu brennen und glühen begann, und etwas gegen die Moskitostiche und Insektenbisse, die ihn am ganzen Körper quälten. Außerdem fand er einen Spiegel und eine Klinge, sodass er sich rasieren konnte. Nun sah er schon viel besser aus, aber er konnte seine Augen nicht betrügen. Eines der Hemden stand ihm gut, die Jeans war etwas zu groß. Er rollte die Beine auf und fand sogar noch ein Tuch, das sich als Gürtel eignete. Seine verschlissenen Schuhe ersetzte er durch Espadrilles und nahm sich dann den Reiseführer vor, der ihm aber nicht viel Neues zeigte; ein paar anständige Strände auf der
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