Schiffe versenken
Unser Hausmädchen hat heute Dienst. Was halten Sie von einem großen Frühstück mit allem Drum und Dran?«
»Das wäre wunderbar.« Hamnet ließ sich auf den nächsten Stuhl fallen und aß zwei Portionen mit allem Drum und Dran und immer noch einem Marmeladentoast und zahllosen Tassen Kaffee und mehreren Gläsern Orangensaft. Währenddessen erzählte er Margaret die Geschichte von Anfang bis Ende – allerdings sparte er den Vorfall mit dem Fischer, Dubres Rolle bei der Veröffentlichung der Ereignisse rund um die Shawould und die Existenz von Bens Zwillingsbruder aus.
Margaret hörte geduldig zu, stellte hin und wieder eine Zwischenfrage und tröstete ihn, als er über Annas Tod sprach. Sie hatte als Kind während des Zweiten Weltkriegs unter der japanischen Besatzung Singapurs in Changi gelebt und schließlich als Krankenschwester den Koreakrieg erlebt, wo sie den britischen Armeearzt Anthony kennen lernte. Also war sie wohlvertraut mit menschlichen Tragödien und Verlusten, und Hamnet bemühte sich um eine gewisse Sachlichkeit – zurzeit konnte er sich den Luxus von Gefühlen nicht leisten.
Dann saßen sich beide eine Zeit lang wortlos gegenüber, Hamnet spülte den letzten Toast mit lauwarmem Kaffee hinunter und fragte dann: »Kann man irgendwie abschätzen, wie lange Ben in der Baracke noch ohne bleibende Schäden hätte aushalten können?«
Margaret lehnte sich zurück. »Eine schwierige Frage. Das hängt von Gott weiß welchen Krankheiten ab, die er sich ohne Impfung hätte einfangen können. Aber wenn wir davon ausgehen, dass keine dieser Krankheiten wirklich lebensbedrohlich ist, würde ihn die Mangelernährung allein nicht umbringen. Obwohl bei einer Dauer von mehreren Monaten ernsthafte Wachstumsstörungen zu befürchten wären.«
»Und hätte es Auswirkungen auf die Entwicklung seiner Lernfähigkeit?«
»Nun, totale Isolation beeinträchtigt die Sprachkompetenz, aber sie müsste sich über Jahre hinziehen. Es gibt Studien darüber, wenn Kinder vernachlässigt werden – allein irgendwo eingesperrt leben oder jahrelang ans Bett gefesselt werden, ehe die Behörden oder Nachbarn sie entdecken. Aber sogar diese armen Wesen können dann bis zu einem gewissen Maß noch eine Sprache erlernen – allerdings brauchen sie außergewöhnlich viel Zuwendung und Unterricht.« Sie seufzte. »Im Grunde stellen nur Krankheiten eine ernste Bedrohung dar.«
»Sie scheinen viel darüber zu wissen.«
»Erstens bin ich Mutter, und zweitens habe ich als Krankenschwester gearbeitet. Deshalb habe ich die einschlägige Literatur fast komplett gelesen – außerdem hält es den Geist wach, und die neuen Theorien und Erkenntnisse haben mich wirklich interessiert. Ich genieße es, Ihnen mit der praktischen Umsetzung behilflich sein zu können.« Sie lehnte sich über den Tisch und tätschelte ermunternd seinen Arm.
Mit einem matten Lächeln rekapitulierte er: Krankheiten, Monate, Wochen. Er durfte keine Zeit verlieren. Dann standen sie gemeinsam auf, um nach Ben zu schauen, und Margaret gab ihm eine zweite Lektion in allgemeiner Babykunde und Ernährung. Dann stellte sie die unvermeidliche Frage, vor der er sich so fürchtete: »Wie soll es weitergehen?«
Hamnet starrte das hungrige Bündel in seinen Armen an. »Erst einmal werden mich die Versicherung und die Schadensermittler in die Mangel nehmen. Und dann, wenn alles glatt läuft, kann ich mir wieder einen Job suchen, am besten an Land, sodass ich mich um Ben kümmern kann.«
»Und wie viel Zeit veranschlagen Sie dafür erst einmal?«
Er zuckte die Achseln. »Im Prinzip kann es Monate dauern, sogar Jahre. In der Zeit kassieren sie vielleicht sogar mein Kapitänspatent, aber dann bleibt mir natürlich immer noch ein Bürojob.«
Einen Augenblick lang lächelte Margaret über Vater und Sohn, dann sagte sie: »Bis alles geregelt ist, können Sie gerne bei uns bleiben, statt in Ihr Apartment zurückzukehren. Und wenn Sie dann erst einmal wieder festen Grund unter den Füßen haben, wird es ein Kinderspiel sein, tagsüber ein Kindermädchen für Ben zu finden. Bis dahin ist es mir ein Vergnügen, mich um Ben zu kümmern, sodass es einfacher ist, wenn Sie auch gleich hier bleiben.«
»Das kann ich doch nicht annehmen.« Hamnet schüttelte den Kopf.
»Sie haben gar keine andere Wahl. Unser Haus ist ohnehin zu groß und zu leer, seit die Kinder erwachsen sind. Da kommt mir etwas Gesellschaft gerade recht.«
Hamnet schaute seinen winzigen Sohn an, und ihm war klar, dass
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