Schiffe versenken
überfielen. Aber davon wurde es nicht einfacher, und er konnte es nicht länger hinausschieben. »Ich hätte nicht ohne Margaret herkommen sollen«, dachte er.
Dann schloss er die Tür auf, und Tränen liefen ihm über die Wangen. Ein Gefühl dunkler Verzweiflung über seine verlorene Zukunft mischte sich mit glücklichen Erinnerungen. Wie ein Roboter packte er ein paar Dinge in Schachteln und Ordner – Erinnerungen für ihre Eltern –, als das Telefon klingelte. Argwöhnisch sah er hinüber, bis ihm einfiel, wer da vermutlich anrief. Er hob den Hörer ab.
»Phillip?« Es war Dubre.
»Komm her«, forderte ihn Hamnet auf. »Aber erst noch etwas anderes: Hast du mit Annas Eltern Kontakt gehabt oder mit meiner Mutter?«
»Ja, äh, vor drei oder vier Tagen«, antwortete Dubre.
»Okay«, Hamnets Stimme klang sehr beherrscht. »Wann kannst du hier sein?«
»In zehn Minuten, wenn es dir recht ist.«
»In einer halben Stunde.«
In Großbritannien, wo Annas Eltern – die Mutter war Französin, der Vater Brite – eine kleine Werft für Yachten betrieben, war es jetzt früh am Morgen, sodass sie ebenso überrascht wie auch erfreut waren, als sie von ihrem totgeglaubten Schwiegersohn ein Lebenszeichen erhielten. Tief bestürzt hörten sie, dass Anna nicht neben ihm stand. Auch der Anruf bei seiner eigenen Mutter war nur wenig schmerzlicher, denn sie und Anna waren sich nach dem Tod seines Vaters durch einen Skiunfall vor sechs Jahren in Thredbo sehr nahe gekommen. Damals war seine Mutter allein auf den Familiensitz Cumbria in England zurückgekehrt. Aber irgendwie gaben ihm der Schock der anderen Familienmitglieder und ihre offenkundige Bereitschaft, sich in ihrem Schmerz völlig auf ihn zu verlassen, neue Stärke, sodass er versprach, sie bald wieder anzurufen, damit sie zu einem Gedenkgottesdienst kommen konnten.
Kaum hatte er den Hörer aufgelegt, als es an der Tür klopfte und Dubre auf Hamnets Aufforderung eilig die Wohnung betrat und dann seinen Schritt verlangsamte. Ganz offensichtlich war er nicht darauf gefasst gewesen, wie unmittelbar er hier mit Annas Tod und der Rolle, die er dabei gespielt hatte, konfrontiert wurde. Schwer ließ er sich im Wohnzimmer in den Sessel fallen, den Hamnet ihm anbot – und ihn dann darin schmoren ließ, wie er es von Anfang an beabsichtigt hatte. An der Wand hingen Bilder von Anna, die während der legendären Regatta Route du Rhume aufgenommen worden waren, ebenso wie Aufnahmen von ihnen beiden bei seiner Ehrung mit den Insignien der Légion d’Honneur dafür, dass er sie gerettet hatte.
Vor Dubre standen drei Schachteln mit ihren Papieren, oben drauf ihr Computer, und daneben lagen die Bücher, die sie geschrieben hatte, und Zeitschriften mit ihrem Titelbild. Das Zimmer war voll mit Erinnerungen an sie, an ihre Kraft, ihre Ziele, an ihr ganzes Leben. Und jetzt war es Dubre, der mit seinen Gefühlen zu kämpfen hatte.
»Jesus, Phillip, ich bin so verzweifelt. Wenn ich nur im Entferntesten geglaubt hätte, dass einer von euch lebend zurückkommt, hätte ich alle Informationen zurückgehalten.« Er schnaubte ein paarmal in ein weißes Taschentuch mit Monogramm, fuhr sich dann damit über die Augen und fragte: »Können wir darüber reden?«
Hamnet nickte. »Er hat sie umgebracht, nachdem deine Warnung über Navtex rausgegangen war. Wahrscheinlich sofort danach. Er scheint es nicht einmal gern getan zu haben, vielleicht mochte er sie sogar.«
»Gütiger Gott!«, Dubre starrte auf den Boden. »Jeder mochte sie, Phillip, jeder«, murmelte er dann.
Wieder nickte Hamnet und konzentrierte sich auf das, was er zu sagen beabsichtigte, statt auf seine Gefühle. »Ehe sie starb, hat sie unseren Sohn geboren, ich habe ihn Benjamin genannt. Zurzeit versorgen ihn Dr. Bullen und seine Frau, von denen wir dieses Apartment hier gemietet haben, in ihrem Haus in Bukit Timah.« Er überhörte Dubres überraschtes Aufatmen. »Und dort wird er auch noch eine Weile bleiben. Schließlich muss ich den Behörden über die Vorgänge auf der Shawould und meine Rückkehr nach Singapur Rede und Antwort stehen, vermutlich bis ins letzte Detail, und ich würde es begrüßen, wenn du mich dabei unterstützen würdest.«
Auf Dubres Gesicht zeigte sich die Erleichterung, so schnell aufs Geschäftliche zu kommen, und seine Stimme stabilisierte sich wieder. »Natürlich. Ich glaube nicht, dass man dir einen Vorwurf machen kann. Nichtsdestotrotz gehst du sicherlich nicht falsch in der Annahme, dass
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