Schiffsdiebe
Warum stirbt sie nicht?«, flüsterte er noch einmal.
Sadna biss sich auf die Unterlippe. » Manchmal ist ihr Lebenswille zu stark. Oder du erwischst sie nicht richtig, und sie verlieren ihr Blut nicht schnell genug. Manchmal geht eben nicht alles so glatt, wie man es sich wünscht.« Sie wandte den Blick von Sadna ab. » Mit der ist es aus und vorbei. Lass gut sein.«
» Aber sie ist noch gar nicht tot!«
Sadna legte ihm die Hände auf die Schulter und sah ihm in die dunklen Augen. » Doch, das ist sie. Und du lebst noch. Und ich bin froh, dass du da warst, als ich dich gebraucht habe. Ohne dich wäre ich nicht mit ihr fertiggeworden.«
Nailer nickte. Er zitterte vor Adrenalin. Pima und Nita waren inzwischen befreit worden und kamen zu ihnen herübergerannt.
» Himmel«, sagte Pima. » Du bist genauso schnell wie dein Vater. Sogar noch mit dem schlimmen Arm.«
Nailer sah sie nur flüchtig an. Ihm war entsetzlich schlecht. Er hatte schon früher getötet. Hühner. Die Ziege. Aber das jetzt war etwas anderes. Er musste sich übergeben. Pima und Nita wichen zurück und wechselten vielsagende Blicke.
» Was hat er denn?«, fragte Pima.
Sadna schüttelte den Kopf. » Töten hat seinen Preis. Und den entrichtet man jedes Mal aufs Neue. Du nimmst ihnen das Leben; und sie behalten dafür ein Stück von deiner Seele. Geben und nehmen.«
» Kein Wunder, dass sein Vater ein solcher Teufel ist.«
Sadna warf ihrer Tochter einen bösen Blick zu, und Pima verstummte. Die Männer und Frauen aus Sadnas Schwerer Kolonne sammelten Waffen ein und verarzteten einander. Offenbar hatte Richard mehr Wachen aufgestellt, als Nailer vermutet hatte. Er konnte sich glücklich schätzen, dass Sadna mit ihrer ganzen Kolonne aufgekreuzt war. Allein wären er und Pima und Nita nie von hier weggekommen.
Plötzlich tauchte Tools Hundegesicht aus der Dunkelheit auf.
» Pass auf!«, schrie Nailer.
Sadna fuhr herum, entspannte sich jedoch sofort wieder, als sie den Halbmenschen sah. » Vor dem musst du keine Angst haben. Er hat uns verraten, wo wir euch finden. Wir kennen uns schon lange, was, Tool?«
Tool kam herüber und starrte mit ausdrucksloser Miene auf Blue Eyes’ Leiche hinab. Er schwieg eine ganze Weile. Schließlich wandte er sich zu Nailer um. » Saubere Arbeit«, sagte er. » Du bist so schnell wie dein Vater.«
» Ich bin nicht wie mein Vater!«
» Dir fehlt noch die Erfahrung.« Tool hob die Schultern. » Aber das Potenzial hast du.« Er wies mit einer Kopfbewegung auf die Blutlache, die sich um Blue Eyes gebildet hatte, und bleckte seine spitzen Zähne. » Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Aus dir wird mal was.«
Bei der Vorstellung, er könnte seinem Vater ähnlich sein, überlief Nailer ein Schauder. » Ich bin nicht wie er«, sagte er noch einmal.
Tools Lächeln verschwand. » Um Blue Eyes muss es dir nicht leidtun«, grollte der Halbmensch. » Es liegt in der Natur des Menschen, dass wir übereinander herfallen. Sei froh, dass du das Talent deines Vaters geerbt hast.«
» Lass ihn in Ruhe«, sagte Pima.
» Wo ist Nita?«, fragte Nailer.
» Das reiche Mädchen?« Sadna deutete über die Sandbank. » Die ist zum Strand runtergegangen. Ihre Leute sind aufgetaucht. Ein Klipper, vor einer Stunde etwa.« Sie sah zu Tool hinüber . » Richard wollte sich mit ihnen treffen und einen Deal aushandeln.«
» Ihre Leute sind hier?« Nailer warf Pima einen verwirrten Blick zu. » Uns hat sie erzählt, dass die gar nicht wüssten, wo sie …« Er sprach den Satz nicht zu Ende. Hatte sie schon wieder gelogen?
Nita kam auf die Lichtung gestürzt. » Sie sind da!«
» Deine Leute?«, fragte er skeptisch.
Sie schüttelte den Kopf und schnappte nach Luft. » Nein – die, die mich gejagt haben. Die von Pyce. Und sie haben Halbmenschen dabei.«
Sadna musterte sie eingehend. » Die Leute am Strand … das sind deine Feinde?«
Nita bekam kaum genug Luft. » Die haben es auf mich abgesehen, damit sie ein Druckmittel gegen meinen Vater haben.«
» Na ja, dass du hier bist, wissen sie jedenfalls«, erwiderte Sadna. » Richard hat ihnen das bereits erzählt.«
Nita war anzusehen, dass sie gleich in Panik ausbrechen würde. » Ich darf nicht zulassen, dass sie mich kriegen! Ich muss mich verstecken.«
Sadna und Tool sahen einander an. » Wenn du in den Dschungel gehst …«
Tool schüttelte den Kopf. » Dann findet Lopez sie bestimmt. Wie willst du sie mit Essen versorgen? Wer wird für sie eintreten, wenn er sie fängt?
Weitere Kostenlose Bücher