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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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rannte.

39
    Glänzende Radkappen
    »Es gibt noch alte Knoten, von denen nicht berichtet wurde. Und solange es neue Aufgaben für Tauwerk gibt, werden immer neue Knoten zu entdecken sein.«
     
    DAS ASHLEY-BUCH DER KNOTEN

    Noch immer Packeis wie zerbrochene Speiseteller in der Bucht, aber das Boot war fertig. Der letzte Span ringelte sich aus Yarks Hobel. Er trat ein Stück zurück, tätschelte das anmutige Holz, erzeugte eine handflächengroße Staubwolke. Schien selber aus Sägemehl gemacht. Summte.
    »Na, da haben wir sie«, sagte er. »’n bißchen Farbe drüber und ab damit.« Und während Quoyle und Dennis das Boot mühsam auf den Anhänger luden, sah der alte Mann zu, packte aber nicht mit an. Sein Teil war getan. Yarks Mund klappte auf. Quoyle, der ahnte, was kommen würde, kam ihm zuvor und brüllte: »Ach, die Gandy Goose, die is’ bald leck«, sang das Lied bis zum Ende, immer lauter, bis die schwermütige Melodie aus seiner heißen Kehle Wärme annahm. Der alte Yark hielt es für einen Salut, spann eine halbe Stunde lang Seemannsgarn, bis er zu seinem Tee hinaufging, die Ohren noch warm von der Melodie wie von einem Hut, der beim Ofen gehangen hatte.
    Eine Platte gebratener Heringe mit ausgelassenem Speck und Kartoffelbrei. Ein Literglas Senf. Beety hin und her, stieg über Warren die Zweite, die für immer unter dem Tischtuch oder bei den Stiefeln leben wollte, sich aber nicht entscheiden konnte. Quoyle und Wavey waren zum Abendessen eingeladen, voller freundlichem Gelächter und Lob für das, was sie aßen. Gekochten Kohl. Und zum Abschluß Heidelbeertörtchen mit Sahne. Von jedem Gericht eine doppelte Portion für Quoyle. Obwohl der Kohl Gase erzeugen würde.
    Sunshine bog eine große Heringsgräte hin und her und sang: »Birkenrinde, Pechwinde, Kirschenwein und Terpentein. « Bunny und Marty teilten sich einen Stuhl, die Arme untergehakt, jede mit einer vom Valentinstag aufgehobenen Tüte Schokoladenherzen. GLÜCK IN DER LIEBE. O DU KIND.
    Am Tisch zappelte Dennis herum, stand auf, setzte sich. Öffnete eine Schublade, schloß sie.
    »Was ist denn mit dir los?« fragte Beety. »Du bist ja heut abend wie ein Kater, dem es unterm Hintern brennt.«
    Ein gekränkter Blick von Dennis, während Quoyle sich auf die Lippe biß.
    »Ich weiß nicht, Frau! Scheint, daß ich was suche. Weiß nicht, was. Das ist los.«
    »Willst du noch Tee?«
    »Nein, nein, ich hab’ genug.«
    Aber es gab Gründe. Keine Arbeit seit Wochen, keine in Aussicht, sagte er zu Quoyle. Keine gute Lebensweise, immer die Sorge ums Einkommen. Habe es satt. Wäre anders, wenn er ein bißchen fischen könnte. Wieder auf, um die Teekanne zu holen, schaute hinein. Quoyle habe Glück, daß er eine Stelle hatte. War denn kein Tee mehr da?
    »Die Zeitung gehört deinem Vater«, sagte Quoyle. »Kannst du nicht bei der Zeitung arbeiten? Wir könnten dich weiß Gott brauchen. Wir haben in jeder Hinsicht zu wenig Leute.« Stieß mit seinem Löffel gegen die Tasse, verschüttete die Hälfte des Zuckers auf dem Tischtuch.
    »Herrgott, nein! Lieber lass’ ich mir die Arme an der Schulter abhacken. Ich kann’s nich’ leiden, mit kleinen, glitschigen Wörtern rumzupfuschen, Lesen, Schreiben und so. Als würdest du dich durch tote Fliegen wühlen.« Er zeigte seine groben Hände. »Wir reden davon« – nickte in Richtung Beety, die den Blick gerade gesenkt hielt -, »auf ein, zwei Jahre nach Toronto zu gehen. Ich will’s nich’, aber wir könnten was an-sparen und dann zurückkommen. Dort gibt’s für Zimmerleute gute Arbeit. Hier gibt’s nichts.« Trommelte auf den Tisch, was alle Kinder in Gang brachte, kleine Finger, die den hohlen Galopp zu erzeugen versuchten. Dennis schaute böse. Nicht überzeugend.
    Beety und Wavey schrubbten das Geschirr, redeten über Toronto. Beetys Stimme so schlaff wie ein heißer Lumpen. Wie es sein könnte. Ob es den Kindern gefallen würde? Vielleicht lieber doch nicht. Vielleicht. Vielleicht.
    Quoyle konnte kaum sagen: Geht nicht. Wußte, daß sie auf immer verloren wären, wenn sie gingen, denn sogar die wenigen, die zurückkamen, waren verändert wie ein Messer, das man aus der Asche eines abgebrannten Hauses holt. Arme Bunny, wenn sie Marty verlieren sollte. Armer Quoyle, wenn er Dennis und Beety verlieren sollte.
    Als alle gähnten, trug Quoyle Herry, der mehr oder weniger schlafend auf dem Wohnzimmerteppich lag. Sunshine faßte Wavey an der Hand, weil Eis lag. Der Hund war als erster im Auto und probierte

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