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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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alle Sitze aus.
    »Wavey«, sagte Sunshine, »wenn du einen Fisch bügeln würdest, wär’ der dann so groß wie ein Teppich?«
    »Größer, glaube ich«, sagte Wavey.
    »Wenn du ihn aufklappen würdest.«
    Dennis begleitete sie hinaus. Rost blätterte auf den Boden, als Quoyle Waveys Tür zuschlug.
    »Wann wirst du den alten Karren endlich los?« Griesgrämig. Drückte seine Hand gegen den Kombi, bis er losfuhr. Sah ihre Rücklichter kleiner werden, ging über die Straße und schaute. Nichts zu sehen außer dem elektronisch gesteuerten Blinken des Leuchtturms. Das Meer flach wie ein Brett.
     
    Im schlafenden Haus ließ Quoyle ein Bad einlaufen. Er weichte im Wasser, hielt sich die Nase zu und glitt in die Hitze. Dankbar. Das Schicksal hätte ihm Nutbeems Melassefaß geben können.
    Aus der Wanne draußen, rubbelte er sich mit einem Handtuch ab, wischte den Bodenspiegel auf der Innenseite der Badezimmertür ab. Er betrachtete sein nacktes Ich, während in der kalten Luft Dampf von seinem Fleisch aufstieg. Sah, daß er riesig war. Der Stiernacken, der breite Kiefer und die schweren Backen voll kupferfarbener Bartstoppeln. Die gelblichen Sommersprossen. Volle Schultern und mächtige Arme, die Hände so haarig wie die eines Werwolfs. Feuchter Pelz auf der Brust, bis hinunter zu dem gewölbten Bauch. Massige Genitalien, rot vom heißen Badewasser, in einem Nest rötlicher Haare. Oberschenkel, Beine wie Baumstümpfe. Dennoch wirkte er eher stark als beleibt. Er schätzte, daß er an einem wichtigen Punkt seiner körperlichen Entwicklung war. Das mittlere Alter war nicht mehr weit, schreckte ihn aber nicht. Seine Fehler waren jetzt schwerer zu zählen, vielleicht, weil sie sich jenseits allen Zählens angehäuft hatten oder mit seinem Allgemeinzustand verschmolzen waren.
    Er zog das graue Nachthemd an, das unter den Armen zerrissen war und an seinem nassen Rücken klebte. Wieder durchfuhr ihn ein Freudenblitz. Grundlos.
     
    Erwachte und hörte das Telefon läuten. Drunten in der Küche. Stolperte über ein schmutziges Hemd, das er hatte fallen lassen. Dennis am Apparat.
    »Ich weck’ dich nich’ gern, aber du mußt es erfahren. Mumma hat vor ’n paar Minuten angerufen. Er is’ noch nich’ wieder da. Is’ seit vier Uhr morgens draußen. Hätte zum Abendessen wieder da sein sollen. Es ist jetzt zehn. Da stimmt was nich’. Ich hab’ den Seenotrettungsdienst angerufen. Bin jetzt auf dem Weg zu Mumma. Hatte den ganzen Tag das Gefühl, daß was faul is’. Wir sind aufs Schlimmste gefaßt.«
    »Sag mir Bescheid, sobald du was hörst.« Quoyle schauderte in der eisigen Küche. Die Uhr stand auf sechs nach zehn. Er konnte das Meer nicht hören.
    Um Mitternacht rief Dennis wieder an, die Stimme heiser und leer. Als hätte ein Kampf schlimm geendet.
    »Sie haben das Boot gefunden. Sie haben ihn gefunden. Er is’ ertrunken. Sie haben gesagt, die Wiederbelebungsversuche sind fehlgeschlagen.« Kein Herzschlag, kein Atem, lag auf dem Tisch im Notfallraum des Rettungsschiffs. »Scheint mit dem Fuß in der Schlingsteinleine hängengeblieben zu sein, als er ’ne Hummerfalle rauswarf. Sie bringen ihn und das Boot jetzt rein. Rufst du Billy an? Ich bring’ Mumma runter. Sie will da sein, wenn sie ihn reinbringen.«
     
    Am Morgen, ungefrühstückt und zittrig von sieben Tassen Kaffee, mit Herz- und Magenbeschwerden, fuhr Quoyle auf dem Weg zu Wavey zum Kai. Dort lag Jack Skiff auf dem orangeroten Schiff des Seenotrettungsdienstes, Lkws und Pkws und ein Gewirr von Leuten, die das Boot des Ertrunkenen anstarrten.
    Wavey fiel wie ein gefällter junger Baum gegen ihn, durchnäßte sein Hemd mit Tränen. Quoyle lehnte sich gegen die Spüle in ihrer kleinen Küche. Er sagte, er würde Herry und Bunny zur Schule fahren, um ihren Tag nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sunshine sollte bei Wavey bleiben, die nach dem kurzen Luxus von Quoyles Schulter Schulbrote machte. Um Beety nicht damit zu belasten.
    Reglosigkeit. Handhoher Dunst auf dem Wasser ließ das ausgefranste Ufer verschwimmen. Felsvorsprünge wie schwarze Metallriemen klammerten das Meer ans Land. Quoyle atmete durch, kalte Luft schoß ihm die Nase hoch, und er fühlte sich schuldig, weil Jack tot war und er da, noch atmend.
    Der papiergesichtige Billy wußte jede Einzelheit, war in der Nacht zuvor zum Kai gefahren, hatte Mrs. Buggit die Hand auf den Arm gelegt, Dennis an der Schulter berührt und gesagt, es tue ihm leid. Hatte gesehen, wie Jack zurück zum Haus gebracht

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