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Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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voraus.
    Sie kam am Montag, ein gleißender Hitzetag, überall schmelzender Schnee und Gerede über eine globale Erwärmung. Ein löchriger Eisberg kratzte an der Landspitze vor-über. Quoyle in Hemdsärmeln, blinzelte sich durch das grelle Licht. Wenn er konnte, schob er die Gedanken an Bunny beiseite, fühlte Freudenkrämpfe. Aus keinem ihm ersichtlichen Grund außer dem langen Tageslicht oder der Wärme oder weil die Luft so klar und mild war, daß es ihm vorkam, als würde er gerade zu atmen lernen.
    Am späten Vormittag ging die Tür zur Redaktion auf. Da stand Wavey. Die nie hierher kam. Sie winkte ihm. Flüsterte ihm ins Ohr, ihr Atem köstlich an seiner Wange. Der kastanienbraune Zopf ein Tau aus glänzenden Haaren, die er schon offen erlebt hatte. Gelbe Farbe auf ihren Fingerknöcheln, ein schwacher Geruch nach Terpentin.
    »Dad sagt, du mußt heute nachmittag vorbeikommen. Er will dir was zeigen.« Sagte aber, sie wisse nicht was. Irgendeine Männersache. Denn Archie war Spezialist darin, die Dinge des Lebens in Männersachen und Frauensachen zu unterteilen. Ein leerer Küchenschrank und ein voller Teller waren Männersache, ein voller Küchenschrank und ein leerer Teller Sorge der Frauen.
    Als Quoyle angefahren kam, lehnte er an seinem Zaun. Mußte den Kombi eine halbe Meile weit heraufkommen gehört haben, denn der Auspuff war kaputt. Quoyle wußte, daß er das Stück hätte gehen können, hatte die Bewegung nötig, aber Fahren war schneller. Ab morgen würde er zu Fuß gehen, falls schönes Wetter wäre.
    Archie lehnte da, sein Holzzoo hinter ihm, hielt ein altmodisches Fernglas in der Hand. Eine Zigarette im Mund. Vor Jahren hatte er durch das Fernglas die Jungen der Buggits gesehen, draußen auf dem körnigen Eis, wie sie herumalberten, von einer Scholle zur anderen hüpften. Konnte den Schnodder aus ihren Nasen laufen sehen. Landeten eine Stunde lang nicht einmal daneben. Dann sprang Jesson zu kurz, klammerte sich an den Rand des Eises, der andere versuchte, ihn hochzuziehen. In ein paar Minuten war Archie mit seinem Boot draußen, rettete den Jungen, zerrte ihn aus der Grieseisströmung. Dachte damals, was für ein Glück, daß er das Fernglas hatte. Sah es später aber als Vorzeichen an. Keiner konnte die Hand des Schicksals aufhalten. Jesson war zum Ertrinken geboren.
    Als Quoyle auf ihn zuging, hob er das Fernglas, ging die jenseitige Küste ab, betrachtete zur Veranschaulichung dessen, was er zu sagen hatte, Quoyle’s Point.
    »Weißt du, ich glaub’, euer Haus is’ weg. Schau mal.« Hielt ihm das Fernglas hin.
    Quoyle stand auf schneebedecktem Gestein. Bewegte das Fernglas langsam hin und her. Und noch einmal.
    Archie stank nach Zigaretten. Sein Gesicht rissig von Tausenden feiner Linien, krumme, schwarze Haare, die ihm aus Ohren und Nasenlöchern wuchsen. Die Finger orange. Mußte beim Sprechen immer husten.
    »Nein, du findest es nich’, weil’s nich’ da is’. Ich hab’ heut’ morgen nach ihm Ausschau gehalten, aber es is’ nich’ mehr, wo’s war. Dachte, du willst vielleicht rausfahren und schaun, ob’s nur runtergekippt is’ oder fortgesegelt. Hatten ’nen ganz schön starken Wind. Wie viele Jahre ham die Trossen es schon gehalten?«
    Das wußte Quoyle nicht. Schon vor Lebzeiten der Tante, also vierundsechzig Jahre lang und länger. Seit die alten Quoyles das Haus übers Eis gezogen hatten.
    »Das wird sie schwer ankommen, wenn’s weg is’«, sagte er. »Nach der ganzen Mühe.« Und obwohl er wußte, daß sein Geheimpfad noch da war, hatte er das Gefühl, als hätte er die Stelle verloren, wo die Unglückshäher durch Tunnel zwischen Fichtenzweigen flatterten, der Stelle, wo er auf den Strand sprang. Als hätte er die Stille verloren. Jetzt gab es nur noch die Stadt. Die Quoyles wieder beim Umstellen.
    Dankte Archie und schüttelte ihm die Hand.
    »Gut, daß ich das Fernglas hab’.« Archie zog an seiner Zigarette, fragte sich, was für eine verborgene Bedeutung darin liegen könnte.
     
    Beety sagte, ja, Dennis sei beim Holzfällen für seinen Kumpel Carl, der noch immer nicht mehr als eine Gabel heben konnte, ein kragenartiges Ding um den Hals tragen mußte. Ja, er habe den Motorschlitten dabei. Der Schnee sei aber uneben. Unten an der Straße neben dem blauen Verkehrsschild; Quoyle würde den Laster am Straßenrand geparkt stehen sehen. Nicht weit von der Stelle, wo sie nach Weihnachten beim Fällen gewesen seien. Dort würde ein Pfad in den Wald führen. Er würde ihn

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