Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schiffsmeldungen

Titel: Schiffsmeldungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
Vom Netzwerk:
wieder. Als hätte er einst von diesem Landstrich geträumt, ihn später vergessen.
    Das Auto rollte über zerklüftetes Land. Gestrüpp. Rissige Klippen unter vulkanischen Lasuren. Auf einem Vorsprung über dem Meer legte ein Seetaucher sein einzelnes Ei. Die Häfen noch vereist. Grabsteinhäuser, die auf rauhem Granit emporragten, die Küste schwarz, glitzernd wie Brocken aus Silbererz.
    Ihr Haus, sagte die Tante, die Finger kreuzend, stehe draußen auf Quoyle’s Point. Die Landspitze jedenfalls sei noch auf der Karte. Ein Haus, das vierundvierzig Jahre leer gestanden habe. Sie spöttelte, sagte, es könne nicht immer noch stehen, glaubte aber insgeheim, daß etwas sich erhalten, die Zeit sie nicht um diese Rückkehr betrogen habe. Ihre Stimme schepperte. Quoyle hörte zu und fuhr mit offenem Mund, als wollte er die subarktische Luft schmecken.
    Am Horizont Eisberge wie weiße Gefängnisse. Das riesige blaue Gewebe des Meeres, verkrumpelt und zerknittert.
    »Schau«, sagte die Tante. »Fischerboote.« Ganz klein in der Ferne. Wellen, die an die Landzungen brandeten. Berstendes Wasser.
    »Ich erinnere mich an einen Kerl, der hat in einem Bootswrack gewohnt«, sagte die Tante. »Der alte Danny Soundso. Es wurde so weit ans Ufer gezogen, daß es sturmsicher war, und er richtete es wieder her. Mit einem kleinen Schornstein-turm, einem steingesäumten Pfad. Hat dort jahrelang gewohnt, bis eines Tages, als er davorsaß und Fischernetze flickte, der verrottete Rumpf zusammenkrachte und ihn erschlug.«
    Auf dem Weg nach Osten schrumpfte der Highway zu einer zweispurigen Straße zusammen, verlief unter den Klippen, dann vorbei an Fichtenwäldern, vor denen Schilder mit der Aufschrift FÄLLEN VERBOTEN standen. Quoyle maß die wenigen Motels, an denen sie vorüberfuhren, mit dem Blick eines Menschen, der erwartete, in einem davon zu schlafen.
     
    Die Tante ringelte Quoyle’s Point auf der Karte ein. An der Westseite der Omaloor Bay ragte die Landzunge in den Ozean wie ein gebogener Daumen. Mochte das Haus nun eingestürzt, verwüstet, abgebrannt, in Teilen davongetragen worden sein – dort hatte es gestanden. Früher.
    Die Bucht sah auf der Karte aus wie ein hellblaues Reagenzglas, in das der Ozean floß. Durch den Flaschenhals fuhren Schiffe in die Bucht ein. An der Ostküste die Siedlung Flour Sack Cove, fünf Kilometer weiter unten die Stadt Killick-Claw und am Flaschenboden entlang haufenweise kleine Buchten. Die Tante wühlte in ihrer großen schwarzen Handtasche nach einer Broschüre. Las laut die Reize von Killick-Claw vor, Zahlen über die staatliche Werft, Fischfabrik, Fracht-hafen, Restaurants. Einwohner: zweitausend. Unbegrenztes Potential.
    »Deine neue Stelle ist in Flour Sack Cove, oder? Das liegt genau gegenüber von Quoyle’s Point. Dürften zu Wasser so etwa drei Kilometer sein. Und eine lange Fahrt zu Land. Früher gab’s jeden Morgen und Abend eine Fähre von Capsize Cove nach Killick-Claw. Aber die ist vermutlich eingestellt. Wenn du ein Boot mit Motor hättest, könntest du selber fahren. «
    »Wie kommen wir zu Quoyle’s Point raus?« fragte er.
    Es gehe eine Straße von der Hauptstraße ab, sagte die Tante, die sei als gepunktete Linie auf der Karte eingezeichnet. Quoyle gefielen die als gepunktete Linien eingezeichneten Straßen nicht, an denen sie vorbeifuhren. Kies, Morast, ein Waschbrett ins Nirgendwo.
    Sie verpaßten die Abzweigung, fuhren weiter, bis sie Zapfsäulen sahen. Ein Schild. IG’S STORE. Ein Laden in einem Wohnhaus. Dunkler Raum. Hinter dem Tresen konnten sie eine Küche sehen, einen fauchenden Teekessel auf dem Herd. Bunny hörte Fernsehgelächter.
    Während Quoyle darauf wartete, daß jemand kam, sah er sich Bärentatzen-Schneeschuhe an. Ging herum, betrachtete die selbstgemachten Regale, offene Schachteln mit Messern zum Häuten, Nadeln zum Netzflicken, Garnspulen, Gummi-handschuhe, Fleischkonserven, einen Stapel Abenteuervideos. Bunny lugte durch die Kühlschranktür auf warzige Frost-schichten über Eiskrembehältern.
    Aus der Küche kam ein Mann mit abstehendem Riedgras-haar unter einer Mütze, auf die der Name eines französischen Fahrradherstellers gestickt war; kaute etwas Knorpeliges. Die Hose ein fades, verbeultes Etwas aus Wolle. Die Tante redete. Quoyle probierte für seine Kinder eine Robbenfellmütze auf, half ihnen, sich Puppen aus Wäscheklammern auszusuchen. Auf den Köpfen lächelten mit Tusche gemalte Gesichter.
    »Können Sie uns sagen, wo die Straße nach

Weitere Kostenlose Bücher