Schiffstagebuch
herum ein Reservat der Stille, in dem die weit auseinander liegenden Gebäude die für immer versunkene Vergangenheit gleichzeitig wachrufen und versiegeln. Hier war es also, denkt man, hier, in der Diwan-i-Khas, stand der Pfauenthron, man muß nur die Augen schließen, um zwischen den strengen Pilastern Stimmen zu hören. Was würde man sehen, wenn man wirklich schauen dürfte? Alle äußeren Zeichen der Macht, den edelsteinbesetzten Thron, die Würdenträger in ihren wehenden Gewändern, die vergoldeten Schwerter.Von hier aus regierte Shah Jahan sein Kaiserreich, in der Diwan-i-Am hielt er seine tägliche Audienz. Das Gold, die Düfte, die Kleider der Frauen, die flehentlichen Bitten, die geflüsterten Gespräche und die geschrienen Befehle, das Wiehern der prächtigen Vollblüter, diese ganze Welt, bewahrt in den Miniaturen, der Liebeslyrik und den ausgreifenden Erzählungen, ist hier erstarrt, geblieben sind nur die Kulissen, die Moti Masjid, der Khas Mahal, eine strenge, beherrschte Wollust und Verzierungswut, Wölbungen, Filigran, Lichteinfall, Kunst, die sich kaum beschreiben läßt, die aus Maß besteht und Kalligraphie. Ein größerer Gegensatz zur Hindukunst mit ihren orgiastisch tanzenden Frauengestalten, vielarmigen Göttern, ihrer erotischen Spannung, den göttlichen Kopulationen ist nicht denkbar, diese beiden Kulturen in ein und demselben Land mußten sich aneinander reiben wie gnadenloses Schmirgelpapier, die zur Schau gestellte, exhibitionistische Wollust einerseits und andererseits eine Baukunst, die Sinnlichkeit lediglich in den Formen zuläßt, in den Kuppelwölbungen, die, wie bei der großen Moschee, der Jami Masjid, zusätzlich Relief durch die große, leere Fläche davor erhalten, durch die beiden ranken, aber mächtigen Minarette zu beiden Seiten des Säulenumgangs und den gigantischen Eingangsbogen in der Mitte. Ich steige die endlose Treppe im linken Minarett hinauf. Zwei Menschen können kaum aneinander vorbei, und es herrscht eine nahezu völlige Dunkelheit, bis wieder eine kleine Öffnung in der Mauer kommt. Mir wird schwindlig vom Drehen und Drehen, aber als ich oben angelangt bin, sehe ich zwei Welten, die der Ordnung und die des Chaos. In der Ferne das Rote Fort, wo ich vor einer Stunde noch war, der rote Sandstein scheint in der Hitze zu flimmern.Genau unter mir der große Innenhof der Moschee und auf der riesigen leeren Fläche, auf der beim Freitagsgebet an die zwanzigtausend Menschen Platz finden, wie auf einer Architekturzeichnung hier und da eine Gestalt, betend oder gehend, als wäre sie dort hingesetzt, um die Größenverhältnisse zu verdeutlichen. Und als ich mich dann auf der winzigen Plattform hier oben umdrehe, sehe ich auf der anderen Seite das mittelalterliche Labyrinth von Chandni Chowk, durch das eine wuselnde Menschenmenge strömt. Ich folge dem Flug einer Taube, die mit einem langen Schwenk den harten, vibrierenden Ruf des Muezzins durchkreuzt, auf dem Rand des Brunnens landet und neben einem alten Mann trinkt, der sich vor dem Gebet reinigt und, als er fertig ist, wieder und wieder verneigt. So sieht Allahs Auge die Sterblichen, wie sie sich aus der überströmenden Menge lösen, zur Moschee kommen, wo die leere Fläche des Vorhofes sie plötzlich zu einer Ausnahme macht, zu jemandem mit einem Namen, der nun niederkniet, sich tief verneigt und mit demjenigen spricht, der nie antwortet.
Ich trete den Rückweg an und schraube mich entlang aller Windungen des Minaretts abwärts. Ein paar Minuten später bin ich selbst Teil eines lebenden Brueghels und ströme zwischen Wasserverkäufern, Ohrauskratzern, Friseuren mit, steige über verstümmelte Körper hinweg, sehe, wie ein Rumpf sich über den schmutzigen Asphalt voranwälzt. Überall um mich herum die Apotheose der Waren: Tongeschirr, Zinkschüsseln, Schornsteine, Auspuffe, Papierstapel, Steckdosen, Computer – alles hat seinen eigenen Platz in diesem Labyrinth. Ich weiß schon längst nicht mehr, wo ich bin, die Läden ähneln höhlenartigen Kämmerchen, bei denen man nie weiß, was dahinter liegt.Die Namen sind ein Gedicht, Venus Hand Tools, The Imperial Stationery Mart, Bengal PaperMill Cy., Shree Mahavir Book Depot, Ramesh Publishing House, Kundan Switches, Chetan Sarees, der Lärm ist unbeschreiblich, Klingeln, Rufen, Fahrradrikschas zwingen sich durch alles hindurch, sechs uniformierte Schulmädchen hinter einem verzweifelt tretenden Fahrer, Esel, eine stocksteif stehende Kuh, der alle ausweichen, Männer mit
Weitere Kostenlose Bücher