Schiffstagebuch
steigen und fallen, ein Gespräch mit höheren Mächten ohne Kommas und Punkte, ich hoffe, sie verstehen es da oben. Dies ist es also, tiefes,
schweigendes Wasser, immer massiver werdende Dunkelheit, eine unverständliche, mich einspinnende eindringliche Stimme. Ich weiß, daß ein Stück entfernt an
den Ufern alles mögliche geschieht, aber ich bin noch nicht bereit, zuviel Flugzeug hängt noch an mir, ich sehe Lichter sich in der Ferne bewegen, es
müssen Prozessionen sein, höre fernen Gesang über die eine gebieterische Stimme hinweg, doch dies ist nicht mein Augenblick, erst schlafen, die andere
Großstadt von mir abschütteln, den Flug, die lange Fahrt durch das Land, den Fahrer, der die Hand ständig auf der Hupe hielt, Eseln und Radlern wild
ausweichend, auf andere frontal zusteuernd und dann heftig bremsend, Aggression, die so unvereinbar scheint mit der trägen, öligen Art zu gehen nach
Verlassen des Autos.
Benares
Ich muß nicht geweckt werden, die Stimme ist bereits da. Sie hat in meinem Schlaf begonnen, als gehörte sie noch dazu, doch dann kommt auch das Klopfen
an der Tür, ein heißer Tee, der eilige Gang hinunter zum schlammigen Landungsplatz, wo das schmale, lange Boot schon bereitliegt. Gräue, Morgendämmerung,
Kühle, auch dieser Mann hat sich eine Decke umgeschlagen. Langsam beginnt er zu rudern. Englisch spricht er nicht, also lachen wir uns nur an. Alles, was
ich jetzt sehen werde, habe ich bereits einmal gesehen, die Tempel, die zum Fluß hinunterführenden Treppen, die Menschen auf diesen Treppen und im Wasser,
Tausende und Abertausende. Aber ich habe es in einem Film gesehen, Bilder, die mich hierhergezogen haben, und dennoch, nichts hat mich auf den Schock des Echten vorbereitet, auf meine Sprachlosigkeit. Wenn das Boot nicht etwa vierzig Meter Abstand hielte vom Ufer, ich wäre dem nicht gewachsen, würde glauben, verschlungen zu werden. Die hohen Gebäude, die an den steilen Uferhängen, die ausladenden Bäume dahinter, das geht noch. Ich sehe die fremdartigen, aufwärtsdrängenden, kugelförmigen Auswüchse an den Türmen, ich sehe Kuppeln und Stupas, Terrassen, Balkone, tote Fenster,Plattformen, Freitreppen, und es scheint, als lebe alles durch die sich bewegende Menge darunter, sich verneigend, kauernd, badend im kalten Wasser, in sich wirbelnd, nackte Männeroberkörper, die grellen Farben der Saris, ein Leuchten von Rot und Gold. Am Ufer flüchtige Gebilde, Sonnenschirme aus Schilf, und später, als wir weiter sind auf unserer langsamen, langen Fahrt, die Holzstapel, die Scheiterhaufen, die Leichen in ihrem Silber und Gold, die Rauchschwaden, die Feuer, die Hunde, die Aschefeger, Wasserträger, Priester. Eine heilige Verzückung liegt über diesen Menschen, aus ganz Indien sind sie gekommen, um in diesem Wasser zu baden, um in ihm unterzutauchen, zwischen den Tausenden von Gesichtern sehe ich einzelne, in sich gekehrt, in völliger Konzentration, betend, ekstatisch, wie fühlt sich jemand, der ein Bad nimmt im Göttlichen, der hofft, dereinst hierher zurückzukehren, um an diesem Ort zu sterben, um hier, an diesen Ufern, verbrannt zu werden, als Asche in diesem Wasser zu verschwinden und sich aufzulösen, selbst Wasser und Fluß zu werden und davonzuströmen in das nächste, der Erkenntnis nicht zugängliche Leben? Nacheinander nennt der Ruderer die Namen der Ghats, Shivala Ghat, Hanuman Ghat, Kedar Ghat, Rana Ghat, Dasaswamedh Ghat, ich werde denselben Weg später an diesem Tag noch einmal zu Fuß machen, viel zu sichtbar zwischen all den anderen, verfolgt vom Lockruf boat , boat , Sah , boat, verloren inmitten der Klänge von Tablas und Schellen, von Gesang und Zeremonien, inmitten von Weihrauch und Brandgeruch, Schlamm und Gold, heiligen Männern mit bemalten Gesichtern und Göttern, die ich nicht kenne. Abends kehre ich zu der Stimme und der frühen Dunkelheit zurück, zu den kleinen Lichtern auf dem Fluß und dem fernenSchlagschatten des anderen Ufers, zum schweigsamen Abdullah und zu den Mahlzeiten aus shaheer paneer , aloo paratha und butter naan hoch oben auf der stillen Dachterrasse zwischen den sanften Stimmen und der Sprache, die ich nicht verstehe. Ich lese über den Ort, an dem ich gerade bin, Worte übersetzen die sichtbare Welt, die jetzt so nah ist und fern bleiben muß. An einem der Ghats habe ich Amerikaner und andere Abendländler in den Kleidern gesehen, die nicht zu uns passen. Meist haben wir nur ein Leben, und wer sich in ein anderes
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