Schiffstagebuch
werden.
Rückfahrt, Cafayate, Cachí, nach acht Stunden Piste möchte ich im Neonlicht noch etwas notieren, aber es gelingt mir nicht mehr. Ein Hund, der vor einem Augenblick noch wie ein Hund aussah, wird langsam zu einer Silhouette, ich höre spielende Kinder, das Geräusch eines Balls, spüre die unendliche Leere des nächtlichen Lands ringsum, es ist Halbmond, und ich denke an eine alte Dame, längst verstorben, die einst zu mir gesagt hat, la media luna es una cuna , der Halbmond ist eine Wiege, ein Satz, der bewirkt, daß ich bei jedem Halbmond an sie denke. Meine Reise schließt sich um mich, und ich gehe in die Wiege, die mein Bett ist. Einen Tag später fliege ich denlangen Weg zurück nach Buenos Aires. Ich weiß, daß meine Reise zu Ende ist, doch mein Tagebuch möchte zum Schluß noch etwas sagen.
26. 2. Buenos Aires. Gestern abend im Museo del Jamón gegessen. Am Nebentisch eine argentinische Familie, upper middle class würde man in England sagen, wo man so etwas aufs Gramm genau wiegt. Zwei junge Frauen mit einem Kind, dazu der Vater und der Großvater des Kindes. Wie manche Menschen sich doch völlig selbst genügen! Eine der Frauen saß auf ihrem Stuhl, als würde sie immer auf einem Pferd sitzen, die breiten Beine leicht gespreizt, lang, beige Baumwollhose tief, ein Stück brauner, starker Rücken, der obere Rand eines schwarzen Slips. Das Ganze kraftvoll, starkes Gesicht. Messer in der Linken, mobil Telefonieren mit großen und dennoch leichten Bewegungen, erst nach einer Stunde ein Blick zum anderen Tisch. Nach dem Fliegen und Reisen tut es gut, sich die Unruhe der Stadt anzusehen – und auch, (ein bißchen) im Spanischen zu sein. Die 9 de Julio und die Alvear entlang ins Hotel spaziert. Überall Menschen, die im Plastikmüll nach etwas suchen und damit in zweirädrigen Karren weggehen, die sie vor sich her schieben. Viel Schmutz auf den Straßen, Unkraut, kaputte Gehwege. Später irgendwo ein Steintrog, in dem ein Junge schlief, als sei er vom Himmel hineingefallen. Etwas entfernt drei weitere Schläfer, nebeneinander auf dem Gehweg, die Hand des (von der Mauer) am weitesten links Liegenden im Schlaf so verlangend geöffnet. Diese Gesellschaft ist provozierend und unerträglich.
Januar / Februar 2005, August 2009
2
Ein Tod aus Feuer und Wasser
An den Ufern des Ganges
Nein, nach Indien dürfte man eigentlich nicht nur für zwei Wochen fahren. Auf einen Kontinent mit endlosen Entfernungen, mit mehr als einer Milliarde Menschen, mit einem Bürgerkrieg im Norden, mit dem Gegensatz zwischen Muslimen und Hindus, den Gesetzen des Korans und der Kasten, der sich einem fortwährend entziehenden Bedeutung von Dharma, Karma, Atman und Moksha, der grausamen Ehe von Armut und Reichtum. Egal, wieviel man gelesen hat – wenn man dort ist, wird die schiere Masse des Sichtbaren einen erdrücken. Wie lange es wohl dauern mag, bis man Ordnung in dem zu sehen begänne, was als Chaos auf einen zukommt?
Ich bin auf die New Delhi Bookfair eingeladen worden, weil eines meiner Bücher in Hindi erschienen ist. Im Verlauf dieser Woche werde ich es bekommen, und es wird aussehen wie etwas, das schon fast nichts mehr mit mir zu tun hat. Die schönen, an einer geraden Linie hängenden Zeichen können unmöglich die Worte sein, die ich geschrieben habe. Aber sie sind es, als ich in einer ehrwürdigen Akademie auf englisch daraus lese, decken sich die Zeichen mit den niederländischen Worten, in denen ich die Geschichte einmal erzählt habe. Alles stimmt, kurzfristig habe ich mit diesem merkwürdigen blauen Buch mein Kommen legitimiert, ansonsten darf ich mich zwischen all den anderen Schriftstellern und Büchern umsehen. Der niederländische Stand befindet sich genau gegenüber dem Stand der Pakistani, die nicht gekommen sind, der freie Raum wird von anderen Muslimen zum Beten genutzt, etwas, was man auf der Frankfurter Buchmesse nicht so leicht erleben wird.
Man hat mich im wahrscheinlich teuersten Hotel Delhis untergebracht. Kein Grund zur Klage, allerdings trägt es zur Verfremdung bei, so daß jeder Schritt, den man aus dieser stillen, bewachten Enklave heraustut, den Anstrich eines heiteren oder moralischen Exerzitiums erhält. Beim Kommen und Gehen wird man von Männern in bordeauxroter Uniform und goldenem, federbuschgeschmücktem Turban mit einem Salut gegrüßt, der die Grenze zwischen der Welt drinnen und der draußen exakt markiert. Jenseits des Grußes herrscht, was in diesen ersten Tagen noch
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