Schiffstagebuch
Ich wage nicht zu fragen, ob es für einen Leichnam reicht, verspüre aber eine merkwürdige Art von Zufriedenheit. Durch diese Transaktion bin ich kurzzeitig mit allem verbunden, was hier geschieht, eine Sekunde lang kein Zuschauer, der Holzstapel verbindet mich mit dem Wunsch eines der Sterbenden da drinnen, und damit einher geht nicht das Gefühl, etwas für jemanden getan zu haben, sondern umgekehrt, daß jemand etwas für mich getan hat.
Unsinn oder Illusion, ich weiß es nicht, aber das Holz ist echt, und das Feuer wird echt sein, auch wenn ich es nicht sehen werde, und so, meiner Sache
nicht sicher, aber doch anders, als ich das Haus betrat, gehe ich die Treppe wieder hinunter und verliere mich in dem Labyrinth, bis ein Dreiradgefährt
kommt, mich mitnimmt und klingelnd und rufend durch die Menschenmenge zu Abdullah zurückbringt. Er steht schweigsam am Eingang wie beim erstenmal. Ich
will ihm erzählen von dem, was mir passiert ist, und tue es dann doch nicht. Muslime verbrennen ihre Toten nicht, und wahrscheinlich würde er denken, ich
hätte mich übers Ohr hauen lassen, und, wer weiß,vielleicht ist es auch so. Nur, es ist mir egal, ich bewahre mir das Bild dieser
liegenden Gestalten, des brennenden Holzstapels, der Asche, die im Wasser zwischen den kleinen schwimmenden Öllämpchen davontreibt, die anzeigen, wie
schnell dieser Fluß fließt, der hier schon Tausende von Jahren vorbeizieht wie eine träge Uhr, die keine Zeit anzeigt, sondern nur deren Verrinnen. Die
Stimme unten ist verstummt, ich sehe noch Licht auf einem Boot, das am anderen Ufer entlangfährt, und dann wird alles still und dunkel über dem
schmutzigen, heiligen Wasser, in dem sich morgen Tausende wieder baden werden, singend, betend, trinkend, Wasser, in dem sie dereinst davonzutreiben
hoffen wie Millionen vor ihnen, Asche ohne Namen, losgelöst von allem, erlöst aus dem Kreislauf von Tod und Geburt. Der Gott des Todes hat keinen Zutritt
in Benares, wer hier stirbt, hört im Augenblick seines Dahinscheidens, wie ihm Shiva leise das Mantra des Großen Übergangs ins Ohr flüstert, das
Taraka-Mantra. Als ich beim weißen Licht in meinem steinernen Kämmerchen lese, sehe ich zum erstenmal die Worte übersetzt, die ich an diesem Abend habe
rufen hören. Ram nam satya hai . Wahrheit ist Gott, Gott ist Wahrheit. Jetzt sehe ich auch, wo ich war: am Manikarnika Ghat. Das dazugehörige Foto
ist bei Tageslicht aufgenommen, die Tücher über den Leichen sind aus Goldbrokat. Vor dem Ufer treiben Blumengirlanden. Ich zähle sieben Tote. Sie liegen
auf Stapeln aus dicken Stämmen, auf ihre Körper werden schmalere Äste gelegt. Daneben erloschene Holzstapel, das Holz grau angelaufen und verkohlt. Ein
Schiff mit Holz verschiedener Sorten liegt dicht am Ufer, Lebende stehen und sitzen überall um die Feuer und auf den Treppen des Ghats. Doms heißen
die Unberührbaren, die dort das Regiment führen. Sie verkaufen das Holz und bekommen Geld für jeden Toten, den sie verbrennen. Auf dem nächsten Foto sehe ich zwei kleine Jungen, die sich nach einem Mann umsehen, der auf einer der Treppen kauert. Er hockt da, die Hände vor der Stirn gefaltet, und schaut in die Kamera, doch seinen Gesichtsausdruck kann ich nicht erkennen. Zu seinen Füßen liegt ein Toter, in ein goldglänzendes Tuch gewickelt. Daneben steht noch ein kleiner Junge an einem Dutzend senkrecht stehender Äste, Anmachholz. Ein paar Stufen darüber ein anderer Mann, auch er hockend, ein schwarzes Tuch um den Kopf gewunden, neben ihm eine Leiche in einem grellroten Tuch, mit Stricken verschnürt. Der Tod ist diesen Kindern sehr nah, doch sie haben ihn schon öfter gesehen, er ist kein Schrecken mehr für sie. Als ich das Licht lösche, verstummt auch das Summen, das zu Neonröhren gehört. Jetzt ist alles wirklich sehr still. Nichts bewegt sich, oder wenigstens scheint es so. Feuer, das weit weg ist, kann man nicht hören, dochin meiner Vorstellung kann ich es sehen, das ewige Feuer, das von den doms bewacht wird und nie ausgehen darf, weil alle Scheiterhaufen damit entzündet werden.
Holz für die Leichenverbrennung
Der Tod in Benares ist aus Feuer und Wasser.
2003
3
Broome 1942
Ein niederländisches Kriegsdrama
Es ist der 3. März 1942. In Broome, einem kleinen Ort im tropischen Nordwesten Australiens, schläft noch alles. Seit einiger Zeit herrscht hier ungewöhnlich viel Betrieb. Die Japaner sind in Niederländisch-Indien gelandet, und so hat man
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