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Schiffstagebuch

Schiffstagebuch

Titel: Schiffstagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cees Nooteboom
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Gedanken, als ich in einer schmalen Gasse, kaum drei Menschen breit, plötzlich von einem menschlichen Wirbelwind zur Seite gestoßen wurde. Hier kam ein Toter vorbei, der es schrecklich eilig hatte. Jemand hatte sein Ziel erreicht und war an den Ufern des Ganges gestorben,jetzt wollte er oder sie nur noch verbrannt werden, sich in Asche verwandeln, die mit dem Wasser davonströmen würde, wollte unsichtbar sein, nicht von all dem anderen Wasser zu unterscheiden, aufgelöst, verschwunden. Die leichte Bahre wurde von vier Männern getragen, die rannten, als sei der Tod ihnen auf den Fersen. Damals hörte ich nur ram, ram aus diesen rennenden, atemlosen Kehlen, inzwischen weiß ich, daß sie Ram nam satya hai riefen, immer wieder, Ram nam , bis sie um die Ecke verschwunden waren. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte ich die Verfolgung bereits aufgenommen, ich wußte, daß sie zu dem Verbrennungsplatz wollten, den ich von der Stadtseite aus nicht hatte finden können. Weit vor mir schaukelte der Leichnam unter seinem rotgolden leuchtenden Tuch. Die Männer waren gnadenlos, alle mußten beiseite springen, sofort hinter der kleinen Prozession schloß sich die Menge wieder, wenn sie um eine Ecke gebogen waren, mußte ich mich nach dem Ram nam satya hai orientieren, aber ich war nur ein Lebender, konnte mit dem Tod nicht Schritt halten, irgendwo zwischen all den Tausenden war dieser eine verschwunden, vielleicht gehörte es sich auch nicht, so hinter einem Toten herzurennen.
    Was dann geschah, glich mehr einem Traum als etwas anderem. Ich war in die Richtung gegangen, in der ich die Männer vermutete, sah sie aber nirgends mehr. Plötzlich, als könnte ein Haus eine Hand haben, umklammerte eine mein Handgelenk. Ich sehe den Augenblick klar vor mir, wie in einem vergrößerten Traumbild. Rechts von mir der im Dämmer gelbliche, braune Schatten des Hauses, die Hand, die mein Handgelenk festhält und langsam hineinzieht. In dem, was die dazugehörige Stimme sagt, erkenne ich lediglich das Wort Sah. Die Stimme will mir etwas zeigen,ich muß mit nach oben. Eine Treppe, die sich sacht hinaufwindet, eine Galerie, noch eine Treppe. Es ist nicht wirklich hoch, doch wegen der Dunkelheit geht es langsam. Ich sehe kleine rotglühende Lichtflecke, spüre Anwesenheit, durch die ich hindurchgehe, verstehe es nicht, habe aber auch keine Angst. Der sanfte Zwang der Hand führt mich zu einer Balustrade, und dann sehe ich es, den Fluß, kleine Feuer die mit der Strömung auf dem Wasser treiben, Lichtpünktchen, und unter mir größere Feuer, und darauf Leichname, weißgekleidete Männer, die sich um sie herumbewegen, Rauch, hoch aufglühende Asche. Die Tücher, die über den Leichnamen liegen, haben Feuer gefaßt, die Männer, die dort zugange sind, tun, was man tut, wenn man ein Feuer anfacht, die Glut anblasen, das Holz richtig aufschichten, manchmal scheint es, als bewegten sich die Leichname etwas, als legten sie sich anders hin, richteten sich ein wenig auf, ich beobachte es durch den menschlichen Rauch, sehe den Fluß breit und still dahinter, die Dunkelheit des leeren Landes am anderen Ufer, und auch hier drinnen müssen sich meine Augen an das Dunkel gewöhnen, bis ich erkenne, daß das rotglühende Licht, das ich beim Hinaufkommen gesehen habe, kleine Häufchen glühender Asche sind, neben denen Menschen liegen. Gesichter erkenne ich nicht, Formen, die schon fast denen der Toten gleichen, die ich gerade gesehen habe. Sie liegen auf dem Steinboden, wie viele es sind, weiß ich nicht, die Hand hat mich bereits zu einem offenen Innenhof weitergezogen, wo es heller ist, nun sehe ich auch den Totenwächter, der mich ins Haus gezogen hat, und was er will, wird ebenfalls deutlich, Geld fürs Holz, und da liegt es, große Stapel von Stämmen und Ästen in allen Größen und Formen um eine riesige primitive Waage,neben der ein Riese steht, der all dies Holz auf einmal aufheben könnte. Jetzt wird alles erklärt: Die Menschen, die drinnen auf dem Boden liegen, sind nach Benares gekommen, um zu sterben und da draußen, vor dem Haus, verbrannt zu werden, dies ist ihr letztes Ziel, ihr letzter Wunsch. Sie sind arm, sie haben kein Geld, nicht einmal Geld, um das Holz für ihren Scheiterhaufen zu bezahlen. Für wieviel Rupien ich Holz schenken wolle? Ich nenne einen Betrag, auf die eine Waagschale wird das Holz gestapelt, auf die andere kommen große, schwarze Eisengewichte, an den Augen des Aufstaplers sehe ich, daß es eine ganz ordentliche Menge ist.

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