Schilf im Sommerwind
bürokratische Labyrinth zu bahnen, und er ließ sie wissen, dass er glücklich war, eine Frau wie sie an seiner Seite zu haben. Sie verbrachten einen Monat im Jahr in Carolines Landgasthof, dem Renwick Inn, erholten sich in der idyllischen Atmosphäre und sorgten dafür, dass der Betrieb in den übrigen elf Monaten reibungslos lief, und sie nahmen sich Zeit für ihre Familie und Sam.
Heute wollte Sam Dana helfen, einen Weg durch das bürokratische Labyrinth in der Geschichte ihrer Schwester zu finden. Er betrat die Marmor-Lobby und erkundigte sich bei dem Wachmann, ob es möglich sei, der Sun Corporation auch ohne Termin einen Besuch abzustatten. Nach einem kurzen Telefonat wurde Sam gebeten, sich in das PR -Büro im fünfundzwanzigsten Stock zu begeben. Er erhielt eine Anstecknadel, die ihn als Besucher auswies, und ging zur zweiten Fahrstuhlreihe hinüber.
Die Lobby der Sun Corporation war ganz in Gelb gehalten. Grafische Darstellungen von Sonnenaufgängen hingen an den Wänden. Die Rezeptionistin drückte auf den Türöffner, und er durchquerte einen Korridor in noch kräftigeren Gelbtönen, an dessen Ende das PR -Büro lag. Gerahmte Fotos von der Sonne leuchteten von allen Seiten auf ihn herab. Sam wurde von einem hochgewachsenen, kahlköpfigen Mann mit blauem Anzug und roter Krawatte in Empfang genommen.
»Womit kann ich Ihnen dienen?« Er lächelte beflissen, als vermute er, sein Besucher habe hochbetagte Eltern und suche für sie einen Platz.
»Ich interessiere mich für das Sun Center in Cincinnati, Ohio.«
»Ah, der
Buckeye State
. Nach den Rosskastanien benannt, die dort in Hülle und Fülle wachsen! Ich stamme selber aus der Gegend, daher kenne ich mich aus. Leben Ihre Angehörigen dort?«
»Ähm, nicht ganz.«
Das Lächeln verlor etwas von seinem Strahlen. Trotzdem machte der Mann einen zuvorkommenden Eindruck. Sein Name war Francis Corwith. Er reichte seinem Besucher die Hand, und Sam stellte sich vor. Sie nahmen in seinem Büro Platz, einem gelben Raum ohne Fenster, aber mit mehreren Fotografien von der Sonne. Francis schob eine Hochglanzbroschüre über den Schreibtisch und begann, ihm die Unternehmensphilosophie zu erläutern und dass ganzheitliches Wohlbefinden und Optimismus Hand in Hand gehen müssten. »Ein sonniges Herz verhindert Kummer und Schmerz. So lautet unser Motto«, sagte er abschließend.
»Klingt gut.« Sam rollte die Broschüre zu einer Röhre zusammen und überlegte krampfhaft, wie er zu seinem Anliegen überleiten sollte.
»Was führt Sie zu uns?«
»Ein trauriger Anlass.« Sam beschloss, aufrichtig zu sein. »Der Schwager einer Bekannten verstarb letztes Jahr. Mark Grayson.« Er hielt inne, beobachtete, ob eine Reaktion erfolgte. Francis Corwith stutzte, doch dann zuckte er lediglich die Achseln und setzte wieder sein dienstfertiges Lächeln auf.
»Und jemand braucht eine neue, ruhige Unterkunft? Vielleicht seine Mutter? Ich kenne den Herrn nicht persönlich, aber wenn jemand in jungen Jahren stirbt, verbreitet sich die Kunde wie ein Lauffeuer, und die Nachmieter stehen Schlange. Schreckliche Sache. Wenn wir also helfen können, gerne. Normalerweise würde ich vorschlagen, sich direkt an die Einrichtung zu wenden – Cincinnati, sagten Sie?«
»Ja, aber –«
»Warten Sie, ich gebe Ihnen Informationsmaterial über die Wohnanlage mit, unser Paradestück. Wir sind sehr stolz darauf – es gehört zu unseren neuesten Errungenschaften. Es wurde inmitten einer herrlichen Parklandschaft errichtet, mit einem natürlichen Weiher, alten Ahornbäumen und einem Wasserfall, von dem manche behaupten, er sei der schönste weit und breit.«
»War nicht Mr. Graysons Firma der Bauträger?« Abermals wartete Sam gespannt auf eine Reaktion. Aber es kam keine, außer einer bedauernden, mitfühlenden Miene.
»Mark Grayson, ja, ich denke schon. Nun, es spricht für uns, dass die Angehörigen vieler Mitarbeiter und Firmen, die für uns tätig waren, sich zu gegebener Zeit entscheiden, ihren Lebensabend in einer unserer Anlagen zu verbringen.«
»Gegeben ist die Zeit immer«, sagte Sam. Francis Corwith schüttelte ihm die Hand, nicht minder freundlich. Und so schob Sam die Broschüren in seine Tasche und überlegte, was er bis sieben Uhr abends mit sich anfangen sollte, bis es Zeit war, Dana zu treffen.
Das Mittagessen – in einem Restaurant mit gestärkten weißen Servietten statt an einem Küchentisch mit Papiertüchern von der Rolle – war für Dana eine Offenbarung.
Die
Weitere Kostenlose Bücher