Schilf im Sommerwind
norditalienischen Gerichte waren köstlich, aber noch besser war, dass sie diese unbeschwert genießen konnte. Sie musste sich nicht den Kopf über Quinn zerbrechen, die auf ihrem Felsen hockte, oder daran denken, dass sie Allie pünktlich zum Schwimmunterricht brachte, oder stundenlang überlegen, was sie abends kochen könnte. Sie musste nicht in einem dunklen feuchten Schuppen ohne Licht auf der Nordseite stehen und auf der ersten Leinwand malen, die sie seit mehr als einem Jahr angerührt hatte. Sie musste sich nicht einmal von der Vorstellung befreien, wie Jon und Monique auf der Couch in ihrem Atelier lagen, ein Bild, das sie lange verfolgt hatte.
Sie konnte ihre Aufmerksamkeit ausschließlich dem köstlichen Essen und den Schmeicheleien von Vickie und Sterling Forsythe widmen, über ihre Arbeit sprechen und sich insgeheim fragen, wie sich ihr Treffen mit Sam gestalten würde. Sie saßen draußen, auf einer schmalen umlaufenden Veranda, blau und weiß gestrichen, mit herrlichen handgemalten Kacheln, die italienische Strandszenen zeigten. Sterlings Kassettenrekorder lief die ganze Zeit und erinnerte sie daran, dass es sich hier um ein Interview handelte.
»Unterwasser«, sagte Sterling. Er war ein stattlicher Mann mit welligen dunklen Haaren und glühenden Augen. Er hatte die Angewohnheit, mitten im Gespräch Stichworte fallen zu lassen, die wie eine Bombe hochgehen und Dana die Zunge lösen sollten.
Sie wickelte einen schwarzen Strang Tintenfisch-Pasta um die Gabel.
»Meereslandschaften«, versuchte er sein Glück noch einmal.
»Dana, Darling«, lachte Vickie. »Sei nicht so mundfaul.«
»Bin ich nicht. Ich überlege nur, was ich dazu sagen soll.«
»Sie malen sie«, soufflierte er. »Sie haben sie aus nächster Nähe miterlebt – überall auf der Welt. An sämtlichen Küsten von hier bis Japan, richtig?«
»Ja, ich war ein Jahr in Japan.«
»Wo hat es Ihnen am besten gefallen, was würden Sie sagen?«
»In Neuengland.«
»Aber Sie leben seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr hier. Sie haben Ihren Wohnsitz in der Normandie. Was hält Sie fern von einem Land, das Sie zu lieben behaupten?«
Dana aß schweigend weiter. Sie hatte sich oft die gleiche Frage gestellt. Lag es daran, dass sie diese Landschaft zu sehr liebte? Sein Herz an einen Ort oder einen Menschen zu hängen brachte nur Kummer. Wie ein Zugvogel von Ort zu Ort zu ziehen war leichter: Die Bindungen wurden nie so eng, dass einen die Landschaft zu Tränen rührte und die Hügel und Sandstrände vom Geist derer beseelt waren, die man liebte. Aber alles, was sie sagte, war: »Ich wollte etwas von der Welt sehen. Ich dachte, das käme meiner Malerei zugute.«
»Ich wage zu behaupten, dass dem so ist«, erwiderte Sterling. »Noch ein Stichwort: Blau.«
»Blau?«
»Ja, diese Farbe ist ja zu Ihrem Markenzeichen geworden. Was glauben Sie, wenn Sie die Schattierungen jedes einzelnen, von Ihnen erkundeten Ozeans bedenken, wie viele Blautöne Sie im Lauf der Jahre bei Ihren impressionistischen Unterwasserlandschaften verwendet haben?«
»Hundertviertausendsechshundertachtzig«, erwiderte sie ausdruckslos.
»Meinen Sie das im Ernst?«
»Und ob.«
Vickie sah aus, als könne sie sich nicht entscheiden, ob sie lachen oder einen Tobsuchtsanfall bekommen sollte. Dana lächelte sie an. Sie hasste Interviews. Was hatte sie schon Lesenswertes zu sagen? Sie übte ihren Beruf aus, weil sie für Tätigkeiten von neun bis fünf absolut ungeeignet war. Sie hatte eine Möglichkeit gefunden, mit Hilfe ihres von Gott gegebenen Talents auf eigenen Füßen zu stehen und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Aber das konnte sie natürlich nicht so unverblümt sagen.
Sie musste sich auf das Spiel einlassen, ihrer Rolle gerecht werden. Die Kunstkritiker mochten es, wenn sie sich geheimnisvoll und kühl gab. Es gefiel ihnen, dass sie im Ausland Fuß gefasst hatte, unverheiratet geblieben war und ihre Werke höchst selten menschliche Elemente enthielten. Nur wenige Betrachter ihrer Bilder entdeckten die Meerjungfrauen, die sie in ihren Werken als Tang, Strömungen und Fische zu tarnen pflegte, nicht einmal die scharfäugigen Journalisten, aber dieser Mann behauptete, sie male wie eine Meerjungfrau.
»Liebe.« Er legte seine Hand auf die weiße Tischdecke.
Dana starrte die Knöchel auf seinem Handrücken an. Sie verband das Wort auf Anhieb mit drei Gesichtern, die sie nun vor sich sah, überrascht, dass ausgerechnet sie es waren.
»Erzählen Sie mir etwas über
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