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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Eiern brütet. »Du weißt, dass es für uns alle schwer ist. Ich habe keine eigenen Kinder. Ich weiß nicht, wie es zwischen uns laufen wird, aber ich werde mich bemühen, mein Bestes zu tun.«
    »Deshalb bist du noch lange keine.«
    »Keine was?«
    »Mutter.«
    Der Hieb hatte offenbar gesessen. Tante Dana blinzelte, als traute sie ihren Ohren nicht. Ihre blauen Augen wirkten traurig, und der Wind wehte ihr die silberbraunen Haare ins Gesicht. Sie strich sie zurück und versuchte krampfhaft, ihre Fassung wiederzugewinnen.
    »Deine Eltern haben mich zu eurem gesetzlichen Vormund bestimmt, das weißt du doch.«
    Quinn würdigte sie weder einer Antwort noch eines Blickes.
    »Als ich davon erfuhr – ich meine, nachdem ich den ersten Schock dieses Albtraums überwunden hatte –, war ich fest überzeugt, dass ich nach Hubbard’s Point zurückkehren würde. Dass ich meine Siebensachen im Atelier zusammenpacken und nach Hubbard’s Point ziehen würde.«
    Quinn legte den Kopf schief, schien interessiert zu sein.
    »Ich sagte mir immer wieder, hier bin ich schließlich zu Hause. Ich kenne jeden Winkel. Hier habe ich mit dem Malen begonnen. Meine Nichten würden sich nicht an eine neue Umgebung gewöhnen müssen. Ich wäre näher bei meiner Mutter. Ich dachte, es sei das Beste für alle Beteiligten.«
    »Und? Was ist passiert? Wieso hast du es dir anders überlegt?« Quinns Stimme zitterte. Die Flut stieg zunehmend höher. Noch eine Handbreit, dann würde die nächste Welle die Stelle erreichen, an der sie ihr Tagebuch verbuddelt hatte.
    »Lily und ich liebten dieses Fleckchen Erde.« Tante Dana sah sich um. Zu Quinns Ärger füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Der Strand war unser Paradies. Alles erinnert mich an Begebenheiten von früher. Ich hoffe inständig, dass niemand auf die Idee kommt, hier zu bauen. Dort drüben machten wir immer Picknick.« Tante Dana sah zu dem weichen weißen Sand hinüber, der an das Gehölz grenzte. »Mit der ganzen Familie. Am Sonntag füllte Mom einen Korb mit belegten Broten und Limonade, und wir kamen hierher, um zu essen und zu schwimmen. Und da hinten gingen Lily und ich mit Speeren auf die Jagd nach Fischen, vornehmlich dunklen. Und wir erforschten das Wäldchen, auf der Suche nach dem Sklavengrab, das sich angeblich dort befindet. Und in dem Fluss, der oft ausgetrocknet war, fingen wir die blauen Florida-Krebse. Und wir segelten in unserer Blue Jay am Strand entlang.«
    »Das sind schöne Erinnerungen.«
    »Sie waren schön, solange Lily lebte.« Danas Augen waren hart. »Aber seit sie nicht mehr da ist, kann ich sie kaum noch ertragen. Ich habe Angst, den Verstand zu verlieren, wenn ich auf Schritt und Tritt an sie erinnert werde.«
    Quinn hatte das Gefühl, als zögen sich ihre Venen und Arterien so stark zusammen, dass ihr das Blut abgeschnürt wurde. Sie wusste genau, was Tante Dana meinte. Aber was sie fürchtete, war das Gegenteil: Sie hatte Angst, dass ihr die Erinnerungen entgleiten und ein für alle Mal verloren gehen könnten, wenn sie Hubbard’s Point verließ.
    »Quinn?«
    »Du klingst wie Mom.«
    »Wieso?«
    »So wie du über Veränderungen redest – und hoffst, dass niemand auf die Idee kommt, hier zu bauen. Sie hasste es, wenn das, was sie liebte, sich veränderte oder verschwand. Das galt auch für Orte, an denen sie hing. Sie hatte das Bedürfnis, die Landschaft zu schützen, wie Hubbard’s Point oder Martha’s Vineyard.«
    »Findest du das schlecht?«
    »Manchmal schon. Man kann nicht alles so bewahren, wie es früher einmal war. Das geht einfach nicht.«
    »Ich weiß, Quinn. Aber man kann sich ärgern oder aufregen, wenn sich etwas zum Schlechteren wandelt.«
    Quinn ballte die Fäuste und hoffte, dass Tante Dana nichts merkte. Sie dachte an die erbitterten Auseinandersetzungen zwischen ihren Eltern, die im letzten Monat vor ihrem Tod entbrannt waren, und wusste, dass sie mit dem Wandel zu tun hatten.
    Stumm beobachtete Quinn, wie ihre Tante auf den großen Felsen kletterte. Sie breitete die Arme aus, als wollte sie den Wind einfangen, der vom Sund herüberwehte. Sie stand lange mit ausgestreckten Armen da, während sich die Wellen Stück für Stück den Strand hinaufschoben. Quinn bückte sich, grub ihr Tagebuch wieder aus. Hastig verstaute sie es in ihrem Hosenbund und spähte zu ihrer Tante hinüber, um zu sehen, ob sie etwas bemerkt hatte.
    Doch ihre Tante schien die Welt ringsum vergessen zu haben. Es wäre ihr vermutlich nicht einmal aufgefallen,

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