Schilf im Sommerwind
des Malers, der er war. Er skizzierte Monique, wenn sie auf dem Bett posierte, sein Stift verwischte den Kreidestrich, mit dem er die Neigung ihrer Brüste und die Rundung ihres Gesäßes, die glatten, langen honigbraunen Beine festgehalten hatte.
»An dich kommt sie nicht heran«, pflegte Jonathan ihr ins Ohr zu flüstern, während er den Körper der jüngeren Frau malte, in Seetang posierend oder im Meer schwimmend.
»Bist du sicher?«, hatte Dana gefragt und seine Küsse als Bestätigung empfunden.
»Er liebt dich sehr«, sagte Monique eines Tages, als sie sich anzog. »Ich hoffe, dass ich auch irgendwann einen Mann finde, der mir solch intensive Gefühle entgegenbringt.«
»Bestimmt. So schön, wie du bist, Monique.«
»Findest du?«
»Ja. Weißt du das nicht?«
Monique zuckte die Achseln, lächelte scheu. Aber Dana hatte das Gefühl, dass sie es genau wusste und Komplimente für sie nur eine andere Form der Entlohnung waren, beinahe genauso wichtig wie das Geld, das sie als Modell erhielt.
Nach Lilys Tod, als Dana nicht mehr malte, hatte sie keine Verwendung mehr für ein Modell gehabt. Monique hatte sie gefragt, ob sie nicht Haus und Atelier putzen oder Besorgungen für sie machen könne, egal was, um sich ein wenig Geld zu verdienen. Honfleur war nicht Paris – hier lagen die Jobs nicht auf der Straße. Bis sie beschloss, ihre Zelte abzubrechen, musste sie eine Möglichkeit finden, sich über Wasser zu halten.
Dana hatte ihr angeboten, im Atelier zu wohnen. Dafür sollte sie die Hausarbeit übernehmen. Rückblickend erkannte Dana, wie blind sie gewesen war. Sie hatte sich zum Idioten gemacht.
In der Zeit nach Lilys Tod war ihre Inspiration als Malerin versiegt, genau wie ihre Lebenskraft und sexuelle Lust. Unfähig, zu malen oder auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, hatte sie Vergessen im Schlaf und Trost in einer menschlichen Berührung gesucht. Nach den vielen Jahren des Alleinseins, in denen sie nicht bereit gewesen war, ihr Leben mit einem Mann zu teilen – nicht einmal mit Philip –, hatte sie nun festgestellt, dass sie nur noch eines wollte: von Jonathans Armen umfangen werden. Als wäre er ihr Sicherheitsnetz und in der Lage, sie zu halten, ihren Absturz zu verhindern und sie davor zu bewahren, Lilys Tod zu verinnerlichen. Sie hatte seinen Körper neben sich spüren wollen. Die Fähigkeit zu malen – und jede andere Form der Kunst – schien auf immer verloren zu sein.
»Ich habe mein Talent eingebüßt, Lily«, flüsterte sie nun, sprach die Worte zum ersten Mal aus, in dem alten Haus, an den Wäscheschrank gelehnt. »Ich kann nicht mehr malen.«
Zumindest nicht hier an dem Ort, wo alles an Lily erinnerte. Vielleicht in Frankreich. Wenn sie in ihr Atelier zurückgekehrt wäre, aus dem Jon verschwunden und Monique verbannt war, hätte sie möglicherweise entdeckt, dass sich die schöpferische Blockade aufgelöst hatte, dass sie wieder das Bedürfnis verspürte, zu malen.
Sommer, dachte sie, Lilys Bilder betrachtend. Eine Jahreszeit. So viel Zeit würde sie ihrem neuen Leben geben. Eine Jahreszeit lang konnte sie Hubbard’s Point ertragen: den Schwimmunterricht, die Mütter, zerbrochene Lampen, Fahrten zum Waschsalon. Ohne Segeln.
Sobald sich die Mädchen an sie gewöhnt hatten, würde sie einen zweiten Anlauf unternehmen, um ihnen die Reise nach Frankreich und in ihr Atelier schmackhaft zu machen. Malen war immer ihre Rettung gewesen, hatte ihr geholfen, die schlimmsten Krisen durchzustehen. Trennungen, Enttäuschungen, der Tod ihres Vaters … sie hatte nie damit gerechnet, dass diese Gabe sie ausgerechnet dann im Stich lassen würde, wenn sie sie am dringendsten benötigte.
In diesem Moment klingelte das Telefon. Sie wollte schon abheben, doch dann überlegte sie es sich anders. Es war vermutlich eine der Mütter, die anfragen wollte, ob Dana Lust habe, sich dem Frauenclub anzuschließen, oder ob sie nicht abwechselnd die Kinder zum Minigolf, in die Eisdiele, zum Ponyreiten fahren wollten. Im Augenblick fühlte sie sich der Anforderung nicht gewachsen, sich mit dem einen oder anderen Ansinnen auseinander zu setzen, deshalb wartete sie, bis sich der Anrufbeantworter einschaltete.
»Hallo, alle miteinander, Sam hier. Offenbar ist das Gespräch von Maschine zu Maschine leichter zu bewerkstelligen. Ich habe mich jedenfalls über die Nachricht gefreut und komme gerne. Um deine Frage zu beantworten, ich esse alles, und ich kann um neunzehn Uhr da sein. Ich hoffe, das ist
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