Schilf im Sommerwind
Aber die Mädchen halten mich auch ganz schön auf Trab. Vor allem Quinn.«
»Mir gefällt ihre Bob-Marley-Frisur.«
»Wenn man das als Frisur bezeichnen kann.« Dana lächelte. »Ich war gerade auf dem Weg zu euren Klippen, um ihr die Leviten zu lesen. Allem Anschein nach hat sie und/oder ihre Schwester, aber ich vermute, es war Quinn, einen Bekannten angerufen und ihn ohne vorherige Absprache mit mir zum Abendessen eingeladen. Und er kommt!«
»Wer ist der Mann?«
Dana schüttelte den Kopf. »Jemand, den sie zum ersten Mal in ihrem Leben gesehen hat. Quinn redet kaum ein Wort mit mir, aber mit einem Fremden telefonieren kann sie … sie muss in meiner Handtasche gekramt haben, um sich die Telefonnummer zu beschaffen.«
»Jetzt sag schon, wer ist es?«
Dana sah Marnie in die Augen, damit sie gar nicht erst auf dumme Gedanken kam. »Einer unserer ehemaligen Segelschüler. Er ist inzwischen Ozeanograph und lehrt in Yale, und infolge einer merkwürdigen Verkettung der Umstände hat er die Mädchen und mich am letzten Donnerstag zum Flughafen und zurück gefahren.«
»Aha«, sagte Marnie, als erklärte das alles.
»Was soll das denn heißen?«
»Ein Bindeglied zu ihrer Mutter.«
»Wieso? Quinn hat doch mich. Ich bin Lilys Schwester.«
»Zu nah verwandt.«
Die Eichenblätter raschelten über ihren Köpfen, als eine laue Meeresbrise den Hügel heraufwehte. Dana setzte sich auf die oberste Stufe der langen Steintreppe. 1938 hatte ihr Großvater drei Pennys in dem noch feuchten Zement versenkt, die Glück bringen sollten; das Kupfer hatte sich im Lauf der Jahre abgenutzt und Grünspan angesetzt. Dana starrte die Münzen an, als würden dadurch die Daten und Lincolns ausgemergeltes Gesicht wieder deutlich sichtbar werden. Marnie hatte ihr nichts erzählt, was sie nicht schon wusste, aber plötzlich erschien ihr alles klarer.
»Was ist hier geschehen?«, flüsterte Dana. »Ich meine, in diesem Haus?«
Marnie antwortete nicht, aber sie setzte sich neben sie.
»Irgendetwas stimmt doch nicht. War Lily unglücklich?«
Marnie schwieg noch immer. Sie blickte nun ebenfalls die Glücksbringer an und runzelte die Stirn, als fühle sie sich unbehaglich.
»Quinn hat neulich so eine Bemerkung gemacht, dass ich glücklicher dran wäre als Lily.«
»Vielleicht meint sie das, weil du so ein glamouröses Leben führst. Du lebst in Frankreich, malst die ganze Zeit …«
»Glamourös.« Dana schüttelte den Kopf. »Terpentin statt Parfüm. Wenn sie wüsste! Aber kommen wir auf Lily zurück.«
»Ich weiß auch nicht viel mehr als du, Dana. Lily schien zufrieden zu sein. Sie war eine erstklassige Mutter, und soweit ich es beurteilen konnte, liebten Mark und sie sich. Ich habe sie oft am Strand oder auf den Klippen zusammen gesehen. Dann kaufte er das große Boot …«
»Warum hat sie die
Mermaid
nicht mehr zu Wasser gelassen?«
»Ich nehme an, weil keine Zeit dazu blieb; sie waren meistens mit der
Sundance
unterwegs. Die Mädchen waren im Umgang mit kleinen Booten geübt – sie machten das hervorragend. Lily fand, Quinn habe das Zeug, bei einer Olympiade mitzumachen. Sie wollte, dass die beiden auch einmal ein Gefühl für ein größeres Boot bekamen. Abgesehen davon glaube ich, dass Segeln sie von dieser dummen Sache mit seiner Arbeit ablenkte. Genau genommen ist das der einzige Grund, der mir einfällt.«
Dana sah überrascht aus. »Was für eine dumme Sache?«
Marnie öffnete den Mund, dann biss sie sich auf die Zunge. Sie hasste Tratsch, wie Dana wusste. Hatte Mark finanzielle Probleme gehabt? War es das, worauf die Andeutung ihrer Mutter hinauslief, und der Grund für die Unzufriedenheit, die Quinn bei ihrer Mutter wahrgenommen hatte?
»Nichts, Dana. Lily hat einmal etwas erwähnt, und ich bin eine alte Klatschtante, die ihren Mund nicht halten kann.«
»Um was ging es – den ewigen Zankapfel?«
Marnie sah sie verwirrt an.
»Zwischen Mark, dem erfolgreichen Bauherrn, und Lily, der eingefleischten Umweltschützerin.«
Marnie nickte lachend. »Besser kann man es nicht formulieren. Lily hatte sich in den Kopf gesetzt, jedes Quäntchen Lebensraum auf Gottes Erdboden zu erhalten – nicht nur für die Arten, die von Ausrottung bedroht waren, sondern für alles, was kreucht und fleucht: Vogel, Maus, Elch, Motte, Elritze, Taube, Seemöwe. Bei einigen Erschließungsprojekten, mit denen Mark befasst war, musste sie wirklich ein Auge zudrücken.«
»Mark war gewissenhaft. Und umweltbewusst, allein Lilys wegen.
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