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Schilf im Sommerwind

Schilf im Sommerwind

Titel: Schilf im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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nicht zu spät, aber ich muss vorher noch einige Daten über Delphine auswerten und auf schnellstem Weg nach Bimini schicken. Wir sehen uns also heute Abend, und vielen Dank für die Einladung.«
    Dana lauschte. Als er aufgelegt hatte, spielte sie die Nachricht noch einmal ab. Sam Trevor kam zum Abendessen. Er aß alles. Er würde um Punkt neunzehn Uhr da sein.
    Die Sache war nur, sie hatte ihn nicht eingeladen. Während sie Lilys Bilder von den vier Jahreszeiten anstarrte, richtete sie ihr Augenmerk auf den Sommer und zählte im Geist die Tage, die bis zum Ende verblieben. Sie stapfte durch das Haus, zog kurzfristig in Erwägung, die Mädchen zur Rede zu stellen, und fand eine Notiz am Kühlschrank vor, in Quinns Handschrift: Sind auf den Klippen, fangen Krebse.
    Die Klippen befanden sich auf der anderen Straßenseite, hinter dem Garten ihrer Nachbarin von gegenüber. Je länger sie darüber nachdachte, dass eines der beiden Mädchen Sam hinter ihrem Rücken eingeladen hatte, desto größer wurde ihr Zorn. Doch dann stellte sie sich Sam vor: lächelnd, freundlich und hilfsbereit, war es für ihn eine Selbstverständlichkeit gewesen, sie zum Flughafen und zurück zu fahren. Sie wusste, dass sie Freunde gebrauchen konnte, und ein Teil von ihr wünschte sich, ihn wiederzusehen. Als sie die Küchentür öffnete, um die Straße zu überqueren und die Mädchen zu suchen, sah sie Marnie McCray Campbell den Hügel heraufkommen.
    Dana kannte Marnie seit ihrer Geburt. Drei Jahre jünger als Dana und ein Jahr jünger als Lily, waren sie zeitlebens miteinander durch dick und dünn gegangen. Ihre Großeltern hatten das Cottage erbaut, und ihre Mutter und Danas Mutter waren miteinander aufgewachsen und Freundinnen gewesen. Dann waren die Töchter zur Welt gekommen – Marnie hatte zwei Schwestern, und beide hatten inzwischen eigene Töchter. Die Larkin-Schwestern – Rumer und Elizabeth, die zwei Türen weiter wohnten – waren eng mit ihnen befreundet.
    »Eine ganze Kolonie von Schwestern«, hatte Danas Großmutter vor langer Zeit gesagt, als sie der Mädchenhorde zugeschaut hatte, die in ihrem Garten spielte.
    Dana war selten so froh gewesen, ein bekanntes Gesicht zu sehen. Sie trat aus der Küchentür ins Freie und breitete die Arme aus. Marnie rannte auf sie zu, ließ sich umfangen, und einen Moment lang war ihr, als umarme sie eine jüngere Schwester.
    »Du hier! Ich fasse es nicht!«, staunte Marnie.
    »Das geht mir genauso! Ich habe auch nicht damit gerechnet,
dich
wiederzusehen«, sagte Dana an ihrem Haar. Sie zitterte, als sie spürte, wie die Jahre von ihr abfielen. Sie war wieder sechs Jahre alt. Lily war im Haus, Lizzie und Charlotte, Marnies Schwestern, warteten am Fuß des Hügels. Ihre Väter waren beim Angeln, ihre Mütter warteten auf sie, wollten mit ihnen an den Strand.
    »Ehrlich?«, fragte Marnie mit leiser Stimme.
    Dana schüttelte den Kopf, riss sich zusammen.
    »Klar, konntest du auch nicht. Weil ich den Sommer sonst immer an der Riviera verbringe!«, witzelte Marnie.
    Dana lachte. Marnie hatte, genau wie Lily, einen ausgeprägten Sinn für Humor. Den beiden war es stets gelungen, ihre älteren Schwestern zum Lachen zu bringen.
    »Das weiß ich.«
    »Wir sind gestern angekommen, spät am Abend. Ich sah kein Licht auf dem Hügel, sonst wäre ich kurz vorbeigekommen. Schön, dass du da bist.«
    »Eigentlich sollten wir längst in Frankreich sein.« Dana versuchte aus Marnies Mienenspiel zu erkennen, ob ihre Mutter etwas erzählt hatte.
    Marnie nickte. »Ich habe es gehört. Unsere beiden Mütter waren sehr besorgt. Die Sprachbarriere, die Mädchen so weit weg, du kennst sie ja, immer die alte Leier …«
    »Und ob.«
    »Ich habe ihnen gesagt, dass du schon weißt, was du tust. Sonst hätte Lily dir nicht ihre Töchter anvertraut.«
    »Lily.« Danas Augen füllten sich mit Tränen, genau wie Marnies, als sie den Namen ihrer Schwester zum ersten Mal aus dem Mund ihrer langjährigen Freundin hörte.
    »Ich vermisse sie sehr«, murmelte Marnie.
    »Ich auch. Ich denke andauernd, sie kommt gleich nach Hause.«
    »Ich sah Quinn und Allie gerade auf den Klippen beim Krebsfang, und zwei Sekunden lang dachte ich, wo steckt Lily? Wenn die Mädchen dort unten sind, kann sie nicht weit weg sein.«
    »Aber stattdessen bin ich hier.«
    »Der Trostpreis.« Marnie umarmte Dana abermals.
    »Danke.«
    »Und, wie hast du dich eingelebt?«
    »Ich dachte, Lily zu vermissen wäre das Schlimmste, und meistens ist es das auch.

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