Schilf im Sommerwind
trocken, das Atmen fiel ihr schwer. Sie sah, dass Sam sie beobachtete, sich nach vorne beugte.
»Du machst dir Sorgen wegen Quinn«, sagte er.
Dana saß reglos da. Sie räusperte sich, um sicherzugehen, dass die Stimme ihr gehorchte. Der Abend war so gut wie vorbei. Sam würde sich in Kürze verabschieden, und alles würde seinen normalen Gang nehmen – oder vielmehr, was sie sich unter ›normal‹ vorstellten. »Ich kann mir denken, wo sie steckt, und ich weiß, dass sie zurückkommt – das tut sie immer …«
Sams Blick ließ sie innehalten. »Ich werde sie suchen, wenn du möchtest«, sagte er.
Seine Stimme klang ruhig und selbstsicher. Dana versuchte, die Achseln zu zucken, um ihm zu bedeuten, dass kein ernsthafter Grund zur Besorgnis vorlag, aber es gelang ihr nicht. Sie war zur Salzsäule erstarrt. Er wusste offenbar, was sie in ihrem tiefsten Innern empfand, das erkannte sie daran, dass er sich weder beirren noch von ihrem aufgesetzten Lächeln täuschen ließ.
»Dana?«
Er meinte es gut, aber sie würde ihm keine Chance geben. Sie hatte schon einmal Nähe zugelassen, aber das würde ihr nie wieder passieren. Wenn er nur ein alter Freund gewesen wäre und sie nicht das Gefühl gehabt hätte, dass er ihr bis auf den Grund des Herzens schauen konnte, wäre es vielleicht anders gewesen.
»Sie kommt von alleine nach Hause«, sagte Dana beherrscht.
»Ja, denn die beiden wissen, dass sie gut bei dir aufgehoben sind.«
Bei diesen Worten füllten sich Danas Augen mit Tränen. Sie starrte auf ihren Teller, damit Sam nichts merkte.
»Wirklich«, fuhr er fort. »Lily wäre stolz auf dich. Und froh, wenn sie wüsste, dass sich ihre Töchter in so guten Händen befinden.«
»Das würde ich gerne glauben.«
»Dann tu es, Dana, lass es zu. Es ist nicht deine Schuld.«
»Schuld?«, fragte sie verwundert.
»Dass Quinn wegläuft und Lily tot ist.«
Sie richtete den Blick auf die Kerze und fragte sich, was er von solchen Dingen wissen mochte. Er war erst neunundzwanzig, in Jonathans Alter. Das Leben konnte ihn solche Weisheiten noch nicht gelehrt haben. Aber seine Stimme war leise und sanft, als wüsste er, was sie durchmachte, und wollte ihr wirklich helfen.
»Wir haben den Fisch mit frischen Kräutern gewürzt«, hörte sie sich sagen.
»Sie waren ebenfalls köstlich. Stammen sie aus dem Garten neben der Küchentür?«
»Ja, Lilys Kräutergarten.«
»Hat sie sie eigenhändig gepflanzt?«
Dana nickte und dachte daran, dass die Kräuter im gemäßigten Küstenklima, das hier herrschte, Jahr für Jahr nachwuchsen.
»Dann ist es so, als wäre sie heute Abend dabei gewesen, bei der Zubereitung des Essens«, sagte Sam. Dana blickte zu ihm hinüber, auf die andere Seite des Tisches. Die Sonne ging unter, und der Himmel war von dunkelrosa Licht erfüllt. Es strömte durch die Fenster hinter ihm, fiel in Kaskaden über seine Arme wie geschmolzenes Gold. Sie stellte sich Lily am Tisch vor und schloss die Augen.
»Mit Liebe kochen«, flüsterte Dana. »Quinn erzählte mir, das habe ihre Mutter immer gesagt, wenn sie frische Kräuter benutzte.«
»Das sieht Lily ähnlich.«
Sam machte den Eindruck, als sei er aufrichtig. Dana hatte keine andere Wahl, als blind darauf zu vertrauen, dass die Anteilnahme, die in seiner Stimme mitschwang, ehrlich war. Sie musste ihren Schutzwall nicht einreißen oder vergessen, was sie mit einem Mann durchgemacht hatte, der in seinem Alter war, aber es lag ganz bei ihr, ob sie ihn beim Wort nahm und auf die Suche nach Quinn schickte.
»Ich mache mir Sorgen um meine Nichte«, gestand sie.
»Ich weiß.«
»Ich möchte Allie nicht alleine zu Hause lassen …«
»Lass mich gehen. Sag mir, wo sie stecken könnte …«
Dana nickte, fasste einen Entschluss. »Weißt du, wie man zum Little Beach kommt? Das ist eine kleine Bucht hinter dem großen Strand, den Pfad hoch, der in den Wald führt …«
»Ich kenne den Weg.« Seine Augen funkelten, teils belustigt, teils verlegen. Dana wollte ihn gerade fragen, woher, aber er kam ihr zuvor. »Den bin ich mal gegangen, als ich Augusta am Firefly Beach besucht habe.«
»Aha.« Dana wurde rot, als sie sich an das
D
im silbernen Sand der Abenddämmerung erinnerte. Als sie aufsah, begannen Sam und sie gleichzeitig zu lächeln. Er schien zu wissen, dass sie ihn gesehen hatte, aber offenbar brachte keiner von beiden es fertig, das Thema anzusprechen.
Als ihr Blick auf einen Kräuterzweig fiel, der auf der Vorlegeplatte lag, fielen ihr
Weitere Kostenlose Bücher