Schilf im Sommerwind
bleiben wollte, hätte sie es längst startklar gemacht. Sie schlägt nur die Zeit tot, bis sie endlich weg kann.«
»Ich habe gehört, dass du eine gute Seglerin bist.«
»War. Jetzt hasse ich Segeln.«
Sam saß reglos da, dachte darüber nach. Er hatte die Ellenbogen auf die Knie gestützt, die nackten Füße tief in den nassen Sand gegraben. Die einsetzende Flut umspülte seine – und Quinns – Knöchel, aber er schien es kaum zu merken.
»Du bist überzeugt, dass sie zurückfliegt, oder?«
»Ja, hundertprozentig.«
»Nun, dann lass uns mal überlegen, was wir dagegen unternehmen können.«
»Was ist, kann ich dich engagieren?«
»Klar.«
»Wie viel?«
»Lass mich darüber nachdenken.«
»Okay. Unter zwei Bedingungen.«
»Und die wären?«
»Meine Tante darf nichts von unserer Abmachung erfahren.«
»In Ordnung. Und die andere?«
»Du sagst niemandem außer mir, was du gefunden hast.«
»Wonach soll ich denn
suchen
?«
»Ich bin noch nicht soweit, dir das zu erzählen.«
»Das ist nur fair. Aber warum die Geheimniskrämerei?«
»Es reicht, wenn ich es weiß. Wenn du nicht mitmachen willst, sag es einfach.«
»Ich mache mit, Quinn.«
»Und du sagst mir Bescheid, was du verlangst?«
»Ja, das werde ich.« Sie besiegelten den Handel per Handschlag.
Er erhob sich, und obwohl sie sich noch nicht auf die Einzelheiten verständigt hatten, stand Quinn ebenfalls auf und löschte das Feuer mit Sand. Als er ihr den Rücken zuwandte, vergrub sie hastig ihr Tagebuch. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass er nicht zusah, ließ sie das Geschenk auf dem Felsen zurück. Dann ging sie ihm voraus, den dunklen Waldweg entlang, zurück zum großen Strand.
Sterne und Feuerfliegen erhellten die Wipfel der Bäume über ihnen. Quinn verschwendete keinen Gedanken daran, ob der Anblick schön war. Sie nahm ihn nur wahr. Fledermäuse stießen herab, kreisten um ihre Köpfe, aber Sam war wie sie, zuckte nicht einmal zusammen. Das war ein gutes Zeichen. Er ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen.
Auf dem Rückweg merkte Quinn, dass sich ihr Lebensgefühl verändert hatte. Es war nicht gut, nicht einmal hoffnungsvoll, sondern einfach anders. Als ob das Schicksal in nicht allzu ferner Zukunft die Karten neu mischen könnte.
Wenn man sie im letzten Jahr gefragt hätte, wäre Quinn der Ansicht gewesen, dass allein der Gedanke an eine Veränderung völlig hirnrissig sei. Warum etwas ändern, was nahezu perfekt war? Sie hatte sich in ihrem Elternhaus geliebt und geborgen gefühlt. Segeln war ihre große Leidenschaft und ihr Traum gewesen. Ihre Eltern hatten Geheimnisse gehabt, ohne Frage, aber damals war ihr nicht bewusst gewesen, dass sie eine zerstörerische Macht besaßen. Nein, Quinn war naiv gewesen, töricht und blauäugig.
Inzwischen war der Gedanke an eine Veränderung akzeptabel geworden. Keine großen Turbulenzen oder grundlegenden Neuregelungen wie der Umzug nach Frankreich, aber eine kaum merkliche Neuerung, zum Beispiel der Wunsch, die Wahrheit zu erfahren. Sie hatte Sam engagiert, und bald würde sie genug wissen, um ihren Kurs ein wenig zu ändern.
Dana wartete vor der Tür, als sie nach Hause kamen. Quinn lief an ihr vorbei, als sei nichts geschehen. Sie nahm ihren Teller von der Warmhalteplatte, um oben zu essen, vor ihrem eigenen Fernseher. Als Sam das Haus betrat, sah Dana ihn dankbar an.
»Du hast sie gefunden. Danke.«
»Keine Ursache.«
Der Kaffee lief bereits durch, so dass Dana ein Tablett mit Tassen, Milch und Zucker herrichtete und ins Wohnzimmer hinübertrug. Allie war ebenfalls oben, in ihrem Zimmer. Durch die geöffneten Fenster drang das Geräusch der Wellen, die sich am Strand brachen, bis zum Hügel hinauf; eigentlich hätte der monotone Rhythmus beruhigend und einlullend wirken müssen, aber Dana war sehr aufgewühlt.
Sie stellte das Tablett auf einem Glastisch ab. Die Sitzecke war gemütlich: ein Sofa, flankiert von zwei Armsesseln. Der Tisch war mit Büchern, Magazinen, Votivkerzen in niedrigen Kristallleuchtern, einer mit Mondsteinen gefüllten blauen Porzellanschale und vier flachen Steinen bedeckt, die von Lily mit zarten Blumenornamenten bemalt worden waren.
»Bist du sicher, dass du keine eigenen Kinder hast?« Sie setzte sich an das eine Ende des Sofas, während er im Sessel daneben Platz nahm.
»Ja«, lachte er. »Warum?«
»Weil du so gut mit ihnen umgehen kannst. Es tut mir Leid, aber ich erinnere mich nicht – hast du eigentlich jüngere
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