Schilf im Sommerwind
auch«, sagte Quinn und blickte in den Sund hinaus und zu der Stelle hinüber, wo ihre Eltern an ihrem letzten Abend gesegelt waren.
Ohne dass jemand den Platz wechselte, begann Dana, die Kenntnisse der beiden Mädchen aufzufrischen. Sam blickte sie unentwegt an, bot ihr für den Notfall einen unsichtbaren, stets verfügbaren Rettungsanker. Sie zeigte den Mädchen die Segel, erklärte ihnen den Unterschied zwischen Klüver und Großsegel. Sie sprach über laufendes und stehendes Gut und forderte sie auf, die Fallleinen in die Hand zu nehmen, damit sie ein Gefühl für die Segel entwickelten. Allie übte, die Fockschot einzufädeln und aus der Rolle zu entfernen, während Quinn neben Sam saß und die Ruderpinne hin und her drehte.
Dann tauschten sie die Plätze. Sam ließ Dana an die Pinne. Ihre Hände berührten sich dabei, und ihre Blicke trafen sich.
»Du übernimmst, Skipper«, sagte er.
»Danke, Sam«, flüsterte sie, und sie meinte nicht nur die Geste, mit der er ihr das Kommando an Bord überließ. Ihr Herz war leicht, und sie atmete freier, seit sie losgesegelt waren. Es war das erste Mal in diesem Sommer, das erste Mal seit Lilys Tod. Der Gedanke, im heiß geliebten Boot ihrer Schwester zu segeln, gemeinsam mit deren Töchtern, erfüllte sie mit einem tiefen inneren Frieden, und sie wusste, dass Sam der Dank dafür gebührte.
Das Sonnenlicht glitzerte auf dem blauen Sund, als die Mädchen die Plätze tauschten. Mit Allie neben Sam im Bug und Quinn neben Dana an der Ruderpinne, setzte sich das Boot langsam in Bewegung.
Allie schrie kurz auf, als der Wind das Boot erfasste. Sam legte ihre Hände an die Fockschot, deutete nach oben auf den Mast und zeigte ihr, wie man das Segel trimmt. Dana legte die Hand über Quinns, damit sie ein Gefühl für das Ruder entwickelte, während das Boot in den Wind drehte und immer schneller über die spiegelglatte See glitt. Dann rutschte Dana zur Seite, und Quinn übernahm die Pinne.
»Wir segeln!«, rief Allie.
»Wir haben es geschafft!«, schrie Quinn.
Sam suchte Danas Blick, das Gesicht mit der Hand gegen die Sonne abgeschirmt, und nickte. Dana sah, dass er stillvergnügt in sich hineinlachte, und Dana wusste, dass es ihr ebenso erging. Sie versuchte, das Bild des kleinen Jungen heraufzubeschwören, dem sie vor vielen Jahren in Newport, Rhode Island, das Segeln beigebracht hatte, aber sie sah nur einen wundervollen Mann vor sich.
Seine Brille mochte noch die gleiche sein, und sie glaubte, ein paar Sommersprossen und über der Stirn die widerspenstige Haarlocke zu erkennen. Aber der Wind zerzauste ihre eigenen Haare, vertrieb die Spinnweben aus ihrem Kopf und aus ihrem Herzen, bewog ihre Nichte, ein Lied anzustimmen.
»Lily«, flüsterte Dana. »Deine Töchter haben das Segeln im Blut, genau wie wir. Wir schaffen es, Lily. Wir schaffen es für dich.«
[home]
12
W ieder zu Hause, übte Quinn Knoten, während Allie Bilder von ihrem Segelabenteuer malte. Sam und Dana saßen unter dem weißen Sonnenschirm und tranken Eistee. Die Sonne ging unter, tauchte alles in ihren goldenen Schein. Sam betrachtete Dana. Auf der Teakholzbank ausgestreckt, schienen ihre Beine endlos lang zu sein. Sie hatte die Augen leicht zusammengekniffen, blickte über den Sund hinaus, und er war unglaublich froh, dass sie so zufrieden wirkte.
»Danke, Sam«, sagte sie.
»Ich habe nichts gemacht. Das war dein Verdienst. Das Segeln liegt ihnen im Blut, findest du nicht? Sobald sie die Ruderpinne in der Hand hielten, war die Angst wie weggeblasen.«
»Das ist immer so.« Dana blickte traumverloren auf das Wasser hinaus. Vielleicht dachte sie an die zahlreichen Jugendlichen, denen sie im Laufe der Jahre das Segeln beigebracht hatte. Würde er für sie immer einer von vielen sein? Er beugte sich vor und versuchte, ihr in die Augen zu schauen.
»Woran denkst du?« Er wusste, dass es alles Mögliche sein konnte: ihre Nichten, Lily, irgendein Mann, den sie liebte.
»An das Meer.«
»Ein unerschöpfliches Thema«, lachte er.
»Ich wollte alle Weltmeere sehen. Jedes einzelne. Ich hatte ein Haus am Pazifik, natürlich gemietet – in Oregon und Mexiko. Und für kurze Zeit in Japan. Ich verbrachte einen Winter auf den Seychellen im Indischen Ozean. Dann bot sich mir die Gelegenheit, auf einem Kreuzfahrtschiff Malunterricht zu erteilen, und ich fuhr durch das Packeis in die Antarktis. In jüngster Zeit war der Atlantik mein bevorzugtes Motiv, aber von der anderen Seite, von Frankreich, aus
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