Schilf
die sich über ihn beugt, hat plastikrot gefärbtes Haar und erinnert Schilf an einen Film, den er vor Jahren gesehen hat und in dem ein Mädchen die ganze Zeit rennt. Die galante Geste, mit der er seine nächste Frage einleiten will, gerät aufgrund der Rückenlage zu einem ungeschickten Winken.
»Können Sie mir sagen, wo ich bin?«
»In Freiburg«, sagt die junge Frau. »Oder geht es Ihnen um den Namen des Planeten? Der Galaxie?«
Schilf probiert ein Lachen und stellt es gleich wieder ein, weil sein Gehirn in einer heißen Flüssigkeit schwappt.
»Die interstellaren Konstellationen sind mir bekannt. Was ist das für ein Laden?«
»Das ist die Galerie für Moderne Kunst .«
»Sehr gut. Da wollte ich sowieso gerade hin.«
»Wahrscheinlich sind Sie deshalb zur Tür hereingekommen.«
»Nicht auszuschließen. Ist Maike da?«
»Im Hof bei den Vögeln. Kennen Sie sich?«
»Ich bin ein Freund ihres Mannes.«
Schilf lässt es zu, dass ihm die junge Frau beim Aufstehen hilft, obwohl er sich bereits wieder sicher auf den Beinen fühlt. Ihr Haar riecht nach Mango, der hellhäutige Arm, den sie ihm reicht, nach Kokosnuss. Vorbei an beleidigten Gemälden, schlecht gelaunten Skulpturen und einigen feindseligen Installationen erreichen sie eine offen stehende Hintertür und verharren auf der Schwelle. Schilf glaubt, in ein Stück vom Paradies zu schauen. Der kleine Hof ist von bemoosten Mauern umgeben, überspannt von einem Dachstuhl aus Lichtgebälk und gedeckt mit den Blättern einer ausladenden Kastanie. Die Sonnenstrahlen zaubern den bereits bekannten metallischen Schimmer auf den Scheitel einer Frau, die sich, in ähnlicher Haltung wie beim Aufschließen eines Fahrrads, zur Luke einer großen Voliere bückt. Die Rufe der Papageien machen den Hof zu einem exotischen Ort, zu einem Stück Outback , das verborgen zwischen den Häusern der Freiburger Innenstadt steckt.
»Maike, da ist ein Gast.«
Als hätte sie nichts gehört, schüttet die Angesprochene Körner aus einem Karton in eine tönerne Schüssel und verteilt Erdnüsse auf kleine Teller. Drei der gelbgesichtigen Vögel landen am Käfigboden und beobachten den Vorgang. Maike beendet die Fütterung und richtet sich auf.
Der Kommissar hat geglaubt, auf alles vorbereitet zu sein, und erschrickt trotzdem. Maikes Augen sind ausdruckslos, die Lippen hat sie zusammengepresst. Das Gesicht spannt wie eine zu eng gewordene Maske über den Wangenknochen. Ihr offensichtlicher Unwillen, ein Gespräch in Gang zu bringen, gibt dem Kommissar Zeit, um für ein paar Sekunden aus der Fassung zu geraten. Über Maikes heller Erscheinung liegt ein Schatten, und Schilf kommt es vor, als hätte dieser die Konturen eines großen Mannes. Plötzlich will er alles tun, um Maike zu beschützen. Er will sich opfern, um die Katastrophe von ihr abzuwenden, obwohl er doch wie immer als Zeremonienmeister der Katastrophe hergekommen ist. Aufrecht wie ein Zaunpfahl steht Maike vor ihm und ist nichts weiter als die Frau eines Zeugen, also bloßes Beiwerk zu einem Fall. Nicht zum ersten Mal verflucht Schilf seinen Job. Hinter Glas, stets hinter Glas, pflegte er an der Polizeihochschule zu dozieren, tut der Ermittler seine Arbeit. Fremde Leben sind für ihn wie die eigene Vergangenheit: Er kann sie betrachten, aber nicht betreten, und um etwas zu ändern, ist es immer schon zu spät.
Schilf wird Maike siezen, Fragen stellen und ihr nicht verraten, was ihm dabei die Kehle eng macht. Deutliche Worte stünden ohnedies nicht zur Verfügung.
Nichts gegen Gefühle, aber sie müssten nicht immer mit ganzer Kraft zuschlagen, dachte der Kommissar, denkt der Kommissar.
»Was schauen Sie mich so komisch an?«, fragt Maike.
»Ich sehe Ihnen beim Existieren zu.«
»Wer sind Sie?«
»Schilf«, sagt Schilf.
»Er behauptet, Sebastian zu kennen«, erklärt die Rothaarige und verschwindet in den Innenräumen der Galerie.
Maikes Augenbrauen wandern zwei erstaunte Zentimeter in die Höhe.
»Bringen Sie bloß keine schlechten Nachrichten.«
»Es geht um Gemälde«, beeilt sich der Kommissar zu versichern, und Maikes Augenbrauen kehren auf ihren Platz zurück.
»Ich gebe den Vögeln noch schnell ihr Wasser.«
Gemeinsam treten sie vor das Gitter. Mithilfe seines gebogenen Schnabels klettert ein weiterer Sittich an den Käfigstangen abwärts. Auf Höhe von Schilfs Gesicht unterbricht er seinen Weg. Zwei kreisrunde rote Flecken zieren seine Wangen wie zu stark aufgetragenes Rouge.
»Können die
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