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Schillerhoehe

Schillerhoehe

Titel: Schillerhoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schaewen
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Tränen in den Augen hob sie ihr Glas. »Auf unsere Lieben.«
      Gianna Signorini wollte nicht indiskret werden, den­ noch interessierte sie sich für den Toten.
      »Was hat Ihnen an Dietmar gefallen?«
      Erika Scharf blickte in ihr Glas. »Gefallen hat mir seine direkte Art. Wenn er etwas wollte, hat er es auch bekommen.« Sie schenkte sich erneut ein. »Wissen Sie, es war früher bei uns in Ostberlin nicht so einfach, das zu bekommen, was man so fürs Leben brauchte – aber er fand immer einen Weg.«
      Die Hotelbesitzerin nickte verständnisvoll. »Und haben Sie denn auch das bekommen, was wir Frauen von unseren Männern wollen?«
      »Ach ja, mein Kind. Er konnte auch sehr liebevoll sein. Aber das hat nachgelassen.« Sie senkte den Kopf und leerte das Glas in einem Zug.
      Auf Gianna Signorini wirkte ihr Gast deprimiert. Sie schaute auf die Uhr. Aber ihre Neugierde war noch nicht befriedigt. »Ich habe gehört, Ihr Mann war im Keller dieses Literaturarchivs. Weiß man schon, warum er sich dort aufgehalten hat?«
      »Das würde ich auch gerne wissen«, antwortete die Scharf. »Vielleicht hat ihn jemand dorthin gelockt, ich weiß es nicht.« Sie stand auf und ging wieder zum Fens­ ter. Gianna Signorini spürte, dass ihr Gast jetzt allein sein wollte.
      »Sie müssen jetzt sehr tapfer sein«, sagte sie, als sie sich verabschiedete. »Bleiben Sie noch ein wenig in Marbach, seien Sie mein Gast.«
      »Danke, meine Liebe«, hauchte Erika Scharf. Sie begann wieder zu weinen.
      Gianna Signorini verließ nachdenklich das Zimmer. An der Rezeption dachte sie an ihren Geliebten. Ein Mord in einer Kleinstadt wie Marbach sollte auch einem Bürgermeister gemeldet werden. Eigentlich hatte Nor­ bert ihr verboten, ihn auf seinem Handy anzurufen. Diesmal jedoch konnte sie die Nummer guten Gewis­ sens wählen.
      »Rieker.«
      »Ciao bello, wo treibst du dich gerade rum?«
      »Mensch, Gianna, du weißt doch, dass du mich nicht anrufen sollst.«
      »Si, mi amore, aber du musst mir jetzt zuhören. Ein Gast ist ermordet worden. Man hat ihn im Literatur­ archiv gefunden. Gestern Nacht. Das musst du wissen, deshalb rufe ich dich an.«
      »Was? Ermordet? Bist du sicher?«
      »Ja. Ein Mord, mitten in Marbach. Die Polizei ist schon hier. Vielleicht ist es besser, du kommst auch.«
      »Ja, natürlich. Ich arbeite gerade im Büro. Bin in fünf Minuten drüben.«
    Die letzten 20 Minuten hatten den Tag für Norbert Rieker ziemlich verändert. Erst dieser ominöse Erpres­ ser, dann ein Mord. Wie passte das alles zusammen? Vielleicht gab es ja sogar einen Zusammenhang? Er packte seine Sachen und lief vom Rathaus zur Schiller­ höhe. Die Polizeistation, an der er vorbeiging, sah fried­ lich aus. Nichts deutete auf ein schweres Verbrechen hin. An der Pforte des Schiller­Nationalmuseums lei­ tete man ihn weiter in den Keller des Literaturarchivs. Wenig später stand er dem Kriminaltechnischen Leiter der Mordkommission, Werner Besold, gegenüber.
      »Grüß Gott, mein Name ist Rieker, ich bin der Bürger­ meister von Marbach, darf ich fragen, was passiert ist?«
      Besold schüttelte ihm die Hand.
      »Na, was soll schon groß passiert sein. Sie sehen doch, weiße Kreide auf dem Boden, jede Menge auf­ gescheuchte Hühner, die in weißen Kitteln rumrennen: Mord in Marbach, würde ich sagen. Besold übrigens mein Name, Mordkommission Stuttgart.«
      »Ja, natürlich. Wer ist denn, äh, umgebracht wor­ den?«
      Werner Besold schnalzte mit der Zunge, dann lehnte er sich nach vorne und flüsterte: »Ihnen als Amtsper­ son darf ichs ja sagen: Wilhelm Tell hat wieder zuge­ schlagen: Sehen Sie diesen kleinen Kreidekreis da? Ein Apfel! Unser Opfer heißt Dietmar Scharf und ist der Mann von Erika Scharf, dieser Schriftstellerin aus dem Osten.«
      Besold tippte mit dem Finger gegen Riekers Brust: »Da hats überall piek gemacht. Lauter kleine Pfeilchen aus lauter kleinen Armbrüstchen. Tja, und jetzt sind Sie dran.«
      Der Bürgermeister staunte. Ihm war klar, dass er an einen besonders kauzigen Polizisten geraten war, der sicherlich nicht die Ermittlungen leitete. Dieser Mord war schon erschreckend genug, aber dass jetzt wenige Minuten nach dem Telefonat mit dem Erpres­ ser erneut das Stichwort Wilhelm Tell fiel, verwun­ derte ihn doch sehr.
      »Was meinen Sie damit, ich bin dran?«
      »Ach, kleiner Scherz, entschuldigen Sie: Aber sind wir nicht alle ein bisschen

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