Schillerhoehe
Stärken zählte. Außerdem kam sie mal raus aus dem Mief der schwäbischen Provinz.
Im Parkhotel Schillerhöhe hatte Gianna Signorini Mühe, die Contenance zu wahren. Die Polizei im Haus, ein Gast ermordet im Literaturarchiv gefun den. Wahrlich keine gute Werbung für ihr Gästehaus, da war sie sich sicher. Was sie aber noch mehr beun ruhigte: Bereits angemeldete Gäste könnten ihren Aufenthalt im Hotel stornieren. Natürlich war sie Geschäftsfrau genug, um trotzdem ihr Geld einzu fordern, aber all das wäre wieder mit einigem Auf wand und Büroarbeit verbunden. Früher hatte ihr Mann noch diese Arbeiten erledigt, aber der trieb sich nur noch herum und lebte von den Einnahmen seiner Hotelkette. Das Haus in Marbach, so hatte er ihr ein mal im Suff erklärt, wäre allein ihr Ding. So ein Sau kerl, dachte sie. Gibt mir einen Glaskasten und schiebt mich aufs Abstellgleis. Sie wollte es sich nicht einge stehen: Aber sie beneidete ihn um seine weltmännische Existenz. Er pendelte zwischen Rom, Rio, New York und Tokio, ohne selbst einen Finger dafür krumm zu machen. Sie dagegen musste hier den Zimmermädchen auf die Finger schauen und dafür sorgen, dass spießige Gäste genügend Brötchen auf dem Frühstückstisch vorfanden. Wenigstens logierten bei ihr öfter promi nente Schreiberlinge, die zu Lesungen auf die Schil lerhöhe kamen. Gottlob traten nicht alle so zickig auf wie diese Scharf, sagte sie sich im Stillen.
Sie stand an der Rezeption und prüfte die abgege benen Schlüssel. Nur der von Erika Scharf fehlte. Sie war nach dem Frühstück wieder aufs Zimmer gegan gen. Die Hotelchefin hatte die Reinigungskräfte ange wiesen, die Räume der Scharfs vorerst nicht zu säu bern. Auch wollte die Polizei das Zimmer von Dietmar Scharf noch auf Spuren absuchen. Die Beamten hatten deshalb das Türschloss plombiert. Plötzlich klingelte das Telefon. An der Nummer erkannte Gianna Signo rini, dass Erika Scharf anrief.
»Ja bitte. Was kann ich für Sie tun?«
»Wären Sie bitte so freundlich, mir eine Flasche Whisky aufs Zimmer zu bringen?«
Die Stimme der Schriftstellerin klang schwach und weinerlich. Gebrochen. Gianna Signorini bekam Mit leid, auch wenn sie der divenartige Auftritt ihres prominenten Gastes an diesem Morgen einige Nerven gekos tet hatte.
»Aber natürlich. Bevorzugen Sie eine bestimmte Marke?«
»Nein, nein. Es ist ganz egal. Machen Sie sich wegen mir keine Umstände. Ich nehme, was Sie dahaben.«
»Möchten Sie dazu Eis oder Sodawasser?«
»Nein, meine Liebe. Ich trinke immer pur.«
Gianna Signorini ging zur Bar und nahm eine Fla sche von der Marke, von der sie selbst manchmal trank, wenn sie Kummer hatte. Sie brachte den Whisky eigen händig zur trauernden Witwe. Oben angekommen, klopfte sie kurz und trat ein. Erika Scharf stand am Fenster und steckte ihr Taschentuch ein, mit dem sie sich kurz zuvor offenbar einige Tränen aus den Augen gewischt hatte.
»Entschuldigen Sie bitte meine Aufregung heute Morgen, ich fürchte, ich habe Sie nicht besonders gut behandelt.«
Gianna Signorini winkte ab: »Ach, ich bitte Sie, Frau Scharf, ich verstehe Sie, das alles nimmt Sie doch sehr mit. Ich wüsste nicht, wie ich reagieren würde.«
Sie stellte die Flasche auf den kleinen Tisch und drehte das Glas um. »Darf ich Ihnen ein Glas einschenken?«
»Ja, bitte.« Erika Scharf trat einen Schritt näher. »Möchten Sie einen kleinen Schluck mit mir trinken?«
Die Hotelchefin zögerte, so früh trank sie sonst nie, aber dann gab sie sich einen Ruck. »Gerne. Auf ein kleines Gläschen.«
Die beiden Frauen setzten sich an den Tisch, auf dem viele Bücher und ein Laptop lagen. Erika Scharf räumte alles auf einen dritten Stuhl.
»Wissen Sie, Dietmar war wirklich nicht einfach«, erzählte Erika Scharf. »Wir haben uns so oft über Klei nigkeiten gestritten.« Sie schüttelte den Kopf. »Manch mal hätte ich schon davonlaufen können.«
Gianna Signorini verstand, dass ihr Gast jemanden brauchte, der jetzt zuhörte. War sie aber die richtige Gesprächspartnerin? Sie dachte an die große Reise gruppe, die heute aus dem Badischen anreisen sollte. Gianna Signorini versuchte, die Erfordernisse des Tag werks für einige Minuten auszublenden.
»Sie haben ihn trotz allem sehr geliebt, nicht wahr?«
»Ja, das habe ich«, antwortete die Scharf. »Diesen alten Mistkerl.« Sie grinste, und mit
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