Schillerhoehe
tun, damit du ›Ja‹ sagst?«
Jetzt war sie es, die verlegen lächelte und errötete. Sie nahm das Schmuckstück und gab ihm ein Küsschen auf die Wange. Verlegen fuhr sie sich mit der Hand durchs Haar, sie spürte, dass sie jetzt gehen musste. Zum Abschied schenkte sie ihm ein flüchtiges Lächeln, dann verließ sie schnell das Lokal, wobei sie fast noch über einen Stuhl gestolpert wäre. Sie fühlte sich ver wirrt, aber auch flippigleicht. Dann dachte sie wieder an Luca und bekam ein schlechtes Gewissen.
Unruhig lief Sven Dollinger in seinem Büro von einer Wand zur anderen. Die Erinnerung an den Leichnam von Dietmar Scharf machte ihm zu schaffen. Mit Todes nachrichten hatte er beruflich zwar regelmäßig zu tun, aber die meisten verstorbenen Literaten sah er noch kurz im Sarg, von den Bestattungsunternehmen sorg sam aufgebahrt und diskret zurechtgemacht. Die Blut lachen und die Pfeile – einfach scheußlich. Und das in seinem Haus. Nur mühsam fand er wieder in die Wirklichkeit zurück. Nach einigen Minuten des Nach denkens wusste er, was er zu tun hatte. Er rief Erika Scharf an. Beim Telefonat äußerte er sein tiefes Bedau ern über den Tod ihres Mannes. Wenig später kon dolierte er bei ihr persönlich noch einmal im nahen Hotel. In diesem Gespräch erfuhr Dollinger, dass die Schriftstellerin noch einige Tage in Marbach bleiben würde. Sie wollte das Ergebnis der Obduktion abwar ten und sich dann um die Beisetzung kümmern. Ihm war das ganz recht, er kündigte an, Erika Scharf in dieser Zeit zu unterstützen. Er halte dies als Instituts leiter für seine Pflicht. Dollinger wusste, dass er sich auf einem schmalen Grat bewegte. Die Witwe konnte denken, dass er sie umgarnte, damit sie ihren Nachlass doch noch dem Marbacher und nicht dem Frankfurter Archiv zur Verfügung stellte. So ganz verübeln konnte Sven Dollinger ihr einen solchen Verdacht nicht. Aber er musste es tun, handelte er doch aus einem überge ordneten Interesse. Zwar zählte Erika Scharf nicht zu den TopSchrifstellerinnen der ehemaligen DDR, doch hatte sie offenbar mit einigen bekannteren Autorinnen regen Briefkontakt – das machte sie für das Literatur archiv interessant. Und dass sie als fast 70Jährige von der Literaturkritik entdeckt und zur Kultfigur erklärt worden war, steigerte natürlich auch den Wert ihrer Werkmanuskripte.
Den Besuch des Direktors hatten zwei Polizeibeamte in Zivil beobachtet. Sie informierten Struve per Handy, dass Dollinger das Hotel betreten hatte.
»Bleibt dran und sagt mir, wo er hingeht, wenn er das Gebäude verlässt.«
Der Kommissar saß in seinem Passat. Er hatte ihn im Parkhaus in der Grabenstraße abgestellt. Nach dem anstrengenden Erstkontakt mit Melanie Förster brauchte er eine kurze Pause. Sie holte sich einen Snack aus dem Supermarkt im Erdgeschoss, er war in einen Buchladen in der Marktstraße gegangen. Statt ein wenig die Augen zuzumachen, blätterte Peter Struve in der Ausgabe von Schillers Wilhelm Tell, die er sich dort besorgt hatte.
»Aha, der Bösewicht heißt also Geßler«, sagte er nach wenigen Minuten der Lektüre und lachte auf. »Das liest sich gut: W er klug ist, lerne schweigen und gehorchen. Das sind die Klassiker, immer ein Spruch auf den Lippen, der alle Zeiten überdauert.«
Seine Gedanken schweiften ab zu Dollinger und dessen pseudoautoritärem Gehabe. Der schnieke ält liche Direktor und der hemdsärmelige Kommissar, da prallten Welten aufeinander, das spürte Struve, doch er wollte unvoreingenommen an den Fall herangehen. Von dem Direktor wusste er bis jetzt nur, dass ihn im Lite raturarchiv nur wenige mochten. Es hieß, er führe ein strenges Regiment, durch das sich alle ziemlich kontrol liert vorkamen. Struves Frau Marie hatte es ihm erzählt, sie arbeitete ehrenamtlich im SchillerGeburtshaus und bekam dadurch einiges mit.
Apropos Marie. Ob sie jetzt endlich heimgekom men war? Struve griff zum Handy.
»Schon zu Hause, mein Schatz?«, fragte er.
»Na, was glaubst denn du, wer dafür sorgt, dass unser Kühlschrank nicht zur sibirischen Steppe wird.«
Peter Struve mochte den deftigen Humor seiner Frau. Aber noch mehr mochte er schmackhafte Abendmahl zeiten. Er rief sich den Topf mit den Kartoffeln in Erin nerung. Eine Pfanne mit Bratkartoffeln und Speck, das wärs! So etwas hatte er seit Monaten nicht mehr gehabt. Kein Wunder: Marie zwang ihm ihren Diätplan auf. Der bestand aus viel
Weitere Kostenlose Bücher