Schillerhoehe
kau fen, er träumte schon lange von einem Porsche. Er war heute einfach mal Probe gefahren. Gewiss, die Sache würde nicht leicht werden: Dollinger blockte, vermut lich wollte der Direktor die Sache für das Deutsche Literaturarchiv ohne ihn abwickeln und sich die Pro vision sparen. Aber einen Utz Selldorf trickste man so schnell nicht aus. Selldorf hatte den direkten Weg gewählt und nicht mit Dietmar, sondern Erika Scharf verhandelt. Schriftstellerkollegen aus dem Berliner Lite raturhaus hatten ihm gesteckt, dass sie sich mit ihrem Mann überworfen hatte. Dass sie an einem Gehirntu mor litt, war ja schon länger bekannt. Die BlitzZei tung hatte mit ›Diagnose Krebs – Damoklesschwert auch über ihr‹ getitelt und in geschmackloser Art ihre Krankheit in einem reißerischen Artikel thematisiert. Vielleicht war sie bei ihrer ersten Begegnung vor einem Jahr so offen zu ihm gewesen, weil der Presseartikel noch nicht erschienen war.
Dummerweise hatte sich Erika Scharf zwischenzeit lich wieder mit ihrem Mann versöhnt. Für Selldorf eine geschäftsschädigende Situation, denn Dietmar Scharf bekam auch in der Nachlassfrage wieder Oberwasser. Der entzogene Auftrag hatte ihn beim Frankfurter Ins titut für Literatur unmöglich gemacht. Ganz zu schwei gen von den 50.000 Euro Provision, die ihm durch die Lappen gegangen waren. Er nahm erneut einen kräfti gen Schluck und trank seinen doppelstöckigen Bourbon aus. Selldorf bestellte einen zweiten Drink und dachte an Dietmar Scharf. Was hatte er diesem Trickser nicht alles angeboten: eine prozentuale Beteiligung bei seinen nächsten Nachlassgeschäften, einen Luxusurlaub im Hotel seines alten Kumpels Manfred, der in seinem Aussteigerdasein auf den Malediven zum Baulöwen geworden war und ihn manchmal einlud. Aber Scharf, dieser störrische Alte, wollte allein Kasse machen. Viel leicht war jetzt der Weg endlich frei. Er musste behut sam vorgehen und durfte nichts überstürzen. Selldorf trank den restlichen Whiskey aus. Die Aktienkurse hat ten nachgegeben, er hatte gelernt, cool zu bleiben und die Krisen der Weltwirtschaft auszusitzen. Hoffentlich brach wenigstens der argentinische Peso nicht ein. Der Literaturagent hatte einen beträchtlichen Teil seines Vermögens in Anleihen für das hoch verschuldete Land investiert. Das machten jährlich 15 Prozent Gewinn, aber mit unsicherem Ausgang. Selldorf schaute auf die goldene RolexArmbanduhr, die er nicht ohne Stolz zur Schau stellte. 23 Uhr. Wo nur Erika blieb? Sie wollten im Goldenen Löwen, einem feinen Speiserestaurant unten am Cottaplatz, bei einem Glas Wein über die weiteren Pläne reden.
9
Für Luca Santos war es ein Leichtes, die Adresse von Franz Schäufele herauszufinden. Der Verdächtige wohnte in der Schwabstraße, in einem der Hochhäu ser am Rande der Stadt. Luca würde dort im Schutze der Dunkelheit abwarten. Die Sonne stand schon ziem lich tief, der Journalist nahm seine Nikon und fuhr gegen 19.30 Uhr vor das Haus. Dabei achtete er dar auf, sich seitlich zu positionieren. Schäufele durfte ihn von oben nicht sehen. Möglich, dass sich in den nächs ten beiden Stunden nichts tat. Dann hätte er eben die Zeit vergeudet. Wenn aber Schäufele tatsächlich etwas mit dem Mord zu tun hatte, würde er sich vielleicht mit jemandem treffen oder etwas Verdächtiges unterneh men. Luca kramte eine Ausgabe des Marbacher Kurier hervor und bohrte ein kleines Loch in der Knickstelle der Sportseiten. Ihm fiel nichts Besseres ein, um sich zu tarnen. Das Ganze erinnerte ihn an drittklassige Agen tenfilme, und er kam sich bescheuert vor, aber immer noch besser, als aufzufallen.
Gegen 22 Uhr – es war schon dunkel und die Zei tung auf das Gesicht des müden Journalisten gefallen – sprang in der Nähe ein Motor an. Das Geräusch riss Santos aus seinem Halbschlaf. Er blickte auf und sah, wie ein Mann in einem weißen Opel Vectra losfuhr.
»Das ist er«, murmelte Luca Santos und nahm die Verfolgung auf. Zum Glück war es dunkel genug, sodass er nicht so leicht erkannt werden konnte. Schäu fele fuhr in Richtung Affalterbach, einem kleinen Ort, vier Kilometer südöstlich von Marbach. Dort bog er auf das Gelände des Schützenvereins ab. Luca Santos wusste, dass die erste Mannschaft des Vereins schon einige Deutsche Meisterschaften gewonnen hatte und als sportliches Aushängeschild der Gemeinde galt. Der Parkplatz des Vereinsheims bot kaum freie Plätze, aus dem Innern
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