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Schillerhoehe

Schillerhoehe

Titel: Schillerhoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schaewen
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»Ich finde es toll, dass du da bist.«
      Julia errötete. »Gar nicht so einfach, einen Parkplatz zu finden«, bemerkte sie, um das Gespräch auf eine weniger verfängliche Ebene zu lenken.
      Ralf tat so, als ob er ihren letzten Satz nicht gehört hätte. Wozu sollte man auch über Parkplätze reden? Er schaute sie an und schüttelte den Kopf. »Das ist Wahn­ sinn, dass wir uns heute Abend sehen können. Bleibst du bis zum Ende?«
      Julia blickte zur Bar, wo sich Caroline und Hartmut gerade lachend zuprosteten. »Es spricht vieles dafür.«
      Ralf grinste. »Lass uns nachher in Ruhe reden. Ich denke, es wird bestimmt noch eine lustige Sause.« Er ging zu Hartmut und tippte ihm auf die Schulter: »Show­ time, alter Junge.« Wenig später standen sie wieder auf der Bühne.

    Zur selben Zeit hob Sven Dollinger in der Gaststätte Zum Ochsen in Oberstenfeld sein Glas und prostete Erika Scharf zu. »Danke, dass Sie meine Einladung ange­ nommen haben, Werteste. Auf einen schönen Abend – und dass Ihre Trauer Ihnen nicht zu nahe geht.« Er blickte ihr tief in die Augen. »Das Leben geht weiter. Es ist einfach zu schön, um es nicht zu genießen.«
      Erika Scharf wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Dieser Dollinger wirkte auf sie oberflächlich und schleimig. Wahrscheinlich kam er sich elegant und stil­ voll vor, aber ihr passte nicht, wie er ihre Gefühle, die er überhaupt nicht kannte, in seine phrasenhafte Rhe­ torik einpasste. Das kann ja ein heiterer Abend werden, dachte sie und prostete ihm kurz zu, bevor sie das Glas Wein mit einem tiefen Zug halb leerte. »Schön haben Sie das gesagt«, heuchelte sie und holte ein Taschen­ tuch aus ihrer Handtasche, um so zu tun, als ob sie sich einige Tränen aus den Augenrändern reiben müsse. Lei­ der hatte sich Dollinger nicht mehr abwimmeln lassen. Sie hätte sich lieber mit Utz Selldorf getroffen, mit ihm gab es Wichtiges zu bereden. Aber sie konnte es sich nicht erlauben, den Direktor des Literaturarchivs mit einer Absage zu brüskieren. Warum hatte sich auch Selldorf nicht mehr bei ihr gemeldet? So würde sie erst morgen beim Frühstück mit ihm reden können. Lei­ der hatte sie ihn nicht mehr erreicht, da bei ihr ständig das Telefon klingelte. Die Nachricht von Dietmars Tod hatte sich offenbar wie ein Lauffeuer herumgespro­ chen. Allein das Gespräch mit dem Reporter der Blitz­ Zeitung hatte sie eine Viertelstunde gekostet. Danach meldete sich ein Korrespondent der Deutschen Nach­ richtenagentur. Wahrscheinlich würde es schon mor­ gen die entsprechenden Schlagzeilen in den Sonntags­ gazetten geben. Erika Scharf wusste nicht, ob sie das gut oder schlecht finden sollte. Das Einzige, was sie an die­ sem Abend überzeugte, war der Württemberger, eine dunkle Rebsorte, die im Abgang nach Brombeeren und Vanille schmeckte. »Huch, danke!«, rief sie überrascht, als Sven Dollinger ihr wenig später nachschenkte.
      Der Direktor des Archivs mied an diesem Abend das Thema Nachlass. Er lenkte das Gespräch auf Erika Scharfs lange verborgen gebliebene literarische Leis­ tung während der Zeit ihrer inneren Emigration in der DDR. Die spät veröffentlichten Erdreichelegien – es waren tatsächlich Gedichte, die sie im Garten der Eltern vergraben hatte – beeindruckten Dollinger nach des­ sen Bekunden besonders. Sie habe es wie keine andere Autorin verstanden, die gesellschaftliche Rolle der Frau als geschichtlich tradiertes Objekt maskulinen Macht­ erhalts zu thematisieren – und dabei das Ost­Berli­ ner Regime keinesfalls ausgeklammert. »Auch wenn Sie geschwiegen haben, verehrte Frau Scharf, so sind Sie doch ein hohes Risiko eingegangen, als Sie Ihre Schriften versteckt hielten«, schwärmte Dollinger. Er hatte am Nachmittag noch einmal die erst im Vorjahr erschienenen Gesammelten Werke der Scharf in die Hand genommen. Er musste sich eingestehen, schon ein gutes Jahrzehnt lang kein Buch einer DDR­Schriftstel­lerin mehr gelesen zu haben. Die ›Frauenliteratur‹, wie er es manchmal im vertrauten Kreis der wissenschaft­ lichen Mitarbeiter des Literaturarchivs mit larmoyan­ tem Lächeln von sich gab, hatte seiner Meinung nach ihren Zenit nach dem Hoch in den 80er­Jahren längst überschritten. Inzwischen widmeten sich die Kritiker anderen Fragen, was ihm persönlich keineswegs störte, hielt er doch die feministischen Ansätze der Literatur für verkappte Ideologietriebe, wie sie von sozialistisch verblendeten

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