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Schillerhoehe

Schillerhoehe

Titel: Schillerhoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schaewen
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Interessengruppen im Zuge des franzö­ sischen Existenzialismus nach Sartre und de Beauvoir wucherten. Aber das war seine Privatmeinung, die er gern zurückstellte, wenn es darum ging, einer Schrift­ stellerin das Gefühl von Wichtigkeit zu geben. Dollin­ ger wurde nicht müde, immer wieder die Verdienste von Dietmar Scharf zu betonen, dem er ein hohes Finger­ spitzengefühl bei der Auswahl der Verlage attestierte, in denen die Werke seiner Frau erschienen waren.
      Irgendwie scheint sie nicht mehr so traurig, dachte Dollinger, als er ihr zum zweiten Mal das Glas mit dem wohltemperierten Lemberger und Trollinger aus dem extrem sonnigen und deshalb ausgezeichneten Jahr 2003 nachschenkte. Tatsächlich besserte sich die Stimmung von Erika Scharf. Nach dem dritten Glas fand sie die Schmeicheleien ihres Gesprächspartners überhaupt nicht mehr unangenehm. Bald schon stand die gegrillte Gänse­ brust mit den schwäbischen Spätzle und dem dampfen­ den blauroten Kraut vor ihnen. Dollinger servierte ihr dazu durchaus unterhaltsame Anekdoten aus dem Ber­ lin der frühen 80er­Jahre. Wie sich herausstellte, hatte er in der Ära Kohl durch Parteiverbindungen einige Jahre lang eine gehobene Position im Auswärtigen Amt inne­gehabt. Für ihn ein wichtiges Sprungbrett, von dem er nach der Wende als Staatssekretär für Kultur im Berliner Senat einen weiteren Schritt auf der Karriereleiter empor rückte. Dies alles wusste Erika Scharf, die allerdings froh war, dass sie sich darüber nichts anhören musste. Statt­ dessen setzte Dollinger in ihrem Gespräch geschickt auf die Nostalgie des guten alten Berlins vor dem Mauer­ fall, und tatsächlich erinnerte sich die Schriftstellerin an Besuche bei ihrer Cousine gleich nach der Wende und die damit verbundenen Einladungen in vornehme Restau­ rants, die sie damals schon sehr geschätzt hatte. Ach, so ein übler Kerl, wie andere behaupteten, war dieser Dol­ linger nun doch nicht, dachte sie nach dem Espresso, der mal wieder so wunderbar italienisch schmeckte und das hervorragende Menü abrundete. Am liebsten hätte sie öfter mal laut gelacht, aber sie konnte sich trotz des vier­ ten Glases Wein immer noch beherrschen. Schließlich war sie erst seit diesem Tag verwitwet, und sie beweg­ ten sich in der Öffentlichkeit. Dietmar, diesen Saukerl, würde sie ja schon ein wenig vermissen. Aber wenn sie ehrlich war, fehlte er ihr jetzt überhaupt nicht. Tja, und da dieser Dollinger auch noch die Rechnung bezahlen würde – Erika Scharf prustete belustigt kurz in ihr nicht mehr ganz frisches Taschentuch hinein – dann hatte sich der erste Abend als Witwe allemal gelohnt. Nach einem wunderbar ölig schmeckenden Grappa und einem kur­ zen Besuch auf der, wie ihr auffiel, sehr sauberen Damen­ toilette fuhr das Taxi vor. Von der spätabendlichen Fahrt durchs Bottwartal – Erika Scharf fielen anfangs noch einige bunt beleuchtete Supermarktschilder und eine Tankstelle auf – bekam sie schon nicht mehr so viel mit. Im Hotel fühlte sie sich dermaßen heiter und schwer zugleich, dass sie sich geradewegs ins Bett fallen ließ und zufrieden einschlummerte.

    Ans Schlafen dachte in dem alten Daimler von Caro­line niemand. Das Konzert hatte die Stimmung zum Höhepunkt getrieben, fast hätte Ralf seine Gitarre zer­ trümmert, aber das machte er nur, wenn er sich zuvor schon eine neue angeschafft hatte. Außerdem wollte er auf Julia keinen rabiaten Eindruck machen. Trotzdem genoss er es, vor ihr zu spielen, und er fühlte sich rich­ tig gut. Statt des üblichen Besäufnisses mit der Gruppe hatte er sich nach dem Gig mit Hartmut abgesetzt. Der Drummer verstand sich mit Caroline offenbar ziemlich gut, und es war ihm zu verdanken, dass sie jetzt um Mit­ ternacht Kurs auf den Breitenauer See nahmen, um dort ein ›Night swimming‹ zu veranstalten. Julia hatte sich anfangs noch gegen den kleinen Ausflug gewehrt, aber Hartmut beruhigte sie und erzählte ihr, dass seine Eltern in der Nähe des Campingplatzes ein kleines Häuschen besäßen, in dem es an Schlafstellen nicht mangele und genügend warme Kleidung vorhanden sei. Ralf selbst hatte sich ziemlich zurückgehalten, er wollte Julia nicht bedrängen. Als Caroline meinte, man solle nicht so spie­ ßig sein und einfach leben, wollte ihr Julia die Tour nicht verderben – und so fuhren sie also gemeinsam durchs obere Bottwartal in Richtung Löwensteiner Berge.
      Julia saß hinten, neben ihr drehte Ralf eine Zigarette. Sie hatte nur

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