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Schillerhoehe

Schillerhoehe

Titel: Schillerhoehe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schaewen
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leben zu müssen. Aber warum hatte er bloß alles so weit kommen lassen?
      »Wenn wir das alles überstanden haben, fangen wir neu an. Ja, in Rio oder in der Karibik.«
      Genau, ihr fangt neu an, und ich schmore im Knast. Und zu Weihnachten und Ostern schickt ihr mir eine Ansichtskarte. Rieker lächelte grimmig. Er hatte die Handschrift. Er wusste, wo sich sein Erpresser aufhielt. Wie wäre es, wenn er einfach den Spieß umdrehen würde? Dieses schmutzige kleine Gaunerpärchen sollte bluten.
      »Hat Dollinger dir ein Angebot gemacht?«
      Oho, Ihre Marbacher Literatureminenz höchstper­ sönlich hatte seine Hände im Spiel? Rieker traute sei­ nen Ohren nicht. Wahrscheinlich versuchten sie auch, den Direktor übers Ohr zu hauen. Möglicherweise würde der die vermisste Handschrift gleich wieder zum Schnäppchenpreis einkaufen. Nicht zu fassen. Aber wenn er ehrlich war, wusste er zu wenig. Er brauchte Informationen. Die würde er sich besorgen, wenn er wieder bei Sinnen war.

    1 0

    Lautes Hip­Hop­Gedudel weckte Peter Struve am Sonn­ tagmorgen gegen 7 Uhr. Es kam von nebenan, wo Schrö­ ders wohnten, ein Lehrerehepaar, mit dem sie abends im Garten schon so manches Viertele geschlotzt hatten. Sym­ pathisch, ja, aber zu soft, wenns darum ging, den Kindern klare Grenzen zu setzen. Kai, der 14­jährige Filius, hatte offenbar seine Vorliebe für Eminem entdeckt.
      »Sag, dass es nicht wahr ist, Marie«, murmelte er mit geschlossenen Augen. Seine Frau regte sich nicht. Struve drehte sich verwundert herum. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Marie seine Empörung teilen würde. Aber doch zumindest ein kleines Lebenszei­ chen hätte er erwartet. Langsam richtete er sich auf. Sie lag mit dem Rücken zu ihm und schlief tief und fest. Die Musik in der anderen Doppelhaushälfte wurde lauter. Wütend schlug Struve mit der Faust gegen die Wand. Marie schlummerte weiter. Eine kleine Dose auf dem Nachttisch seiner Frau erregte die Aufmerksamkeit des Kommissars. Er streckte seinen linken Arm aus und nahm den Behälter in die Hand.
      »Ohrosanft«, las Struve laut. »Zwölf Ohrstöpsel aus Wachs, angenehm weich, für Ruhe und Wohlbe­ finden.« Schmunzelnd legte er die Packung zurück. »Na, da kennt aber jemand seine Pappenheimer.« Ges­ tern war es doch später geworden. Er hatte sich noch in seinem Bietigheimer Büro einige Artikel über Erika Scharf und ihren Mann aus dem Internet gezogen. Als er nach Hause kam, fand er seine Frau bereits schla­ fend vor. Leise hatte er sich ins Bett geschlichen, froh darüber, dass er mit ihr um diese Uhrzeit nicht mehr über ihre Urlaubspläne sprechen musste.
      Der Nachbarjunge drehte die Musik noch lauter.
      »Also, das ist doch«, schimpfte Struve. Wenn es wenigstens die Rolling Stones oder Eric Clapton wären, dann würde er vielleicht ein Auge zudrücken. Aber von Satisfaction oder Layla war dieses verworrene Zeug ungefähr so weit entfernt wie die Universal Banditos vom Auftritt bei den Ludwigsburger Schlossfestspie­ len. Struve rappelte sich auf und blickte zu Marie hin­ über, die sich inzwischen unruhig hin und her wälzte. Er kitzelte sie sanft am Ohrläppchen, pulte einen Stöp­ sel hervor und küsste sie auf die Wange. »Na Schatz, magst du ein Ei zum Frühstück?«
      Sie knurrte und drehte sich von ihm weg. »Aber nicht so labbrig wie am letzten Sonntag.«
      Peter Struve stand auf, wusch sich, zog sich an und bereitete das Frühstück zu. Neben der Kaffeemaschine lag die Ausgabe von Wilhelm Tell. Struve hatte das Büch­ lein gestern noch bis zum Ende gelesen. Er dachte an den Mord und fragte sich, welche Rolle Dietmar Scharf für den Mörder in dessen persönlichem Drama gespielt haben mochte. Der Tyrann und der Freiheitskämpfer, sie standen sich gegenüber. Der Apfel lag neben dem Opfer. War es Ablenkung oder war es ein Bekenntnis? Die Tat­ waffe Armbrust wurde als Selbstschussanlage verwen­ det. Noch stand der Kommissar vor einem Rätsel, aber es schien ihm überhaupt nicht schwer, sich diesem Fall anzunähern. Vielleicht stimmte ja die Hypothese der jungen Kollegin. Nur hatte er noch keinen Ansatzpunkt, wer für einen idealistisch­politisch zumindest mitmo­ tivierten Mord infrage kommen könnte.
      Als ob ihm Tell eine Antwort hätte geben können, schlug Struve die Szene des Tyrannenmordes im vierten Aufzug auf, als Wilhelm Tell dem getroffenen Geßler zuruft: Du kennst den Schützen, suche keinen andern. Frei sind die Hütten,

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