Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
gewöhnen.“
Unbeholfen machte er einen Schritt nach vorne und umarmte mich freundschaftlich. Ich freute mich so darüber, dass ich ihm am liebsten einen Kuss auf die Wange gegeben hätte, aber dann wäre er vermutlich vor Scham im Erdboden versunken.
„Wann kann ich ihn besuchen?“, fragte er und sorgte wieder für einen gebührlichen Abstand zwischen uns.
„Ich würde sagen, heute Nachmittag. Er ist noch sehr schwach. Kann ich etwas Leichtes zum Frühstück für ihn mitnehmen, falls er Hunger hat? Aber keine Grütze!“, rief ich und alle lachten.
Anna ließ von der Köchin ein Schonkostfrühstück zusammenstellen, und ich nahm es mit zu Jack. Es bestand aus Kräutertee und Butterbrot. Jack öffnete die Augen, als ich mit dem Tablett eintrat, war allerdings von seinem Frühstück nicht gerade begeistert, obwohl er bereits wieder Appetit hatte. Lustlos kaute er auf dem Brot herum. Anette kam herein und begrüßte ihn.
„Willkommen unter den Lebenden, mein Freund.“
Kurz huschte ein Schatten über sein Gesicht, hatte ihn heute schon die Zweite darauf aufmerksam gemacht, dass er dem Tod gefährlich nahe gekommen war. Doch dann lachte er sie freundlich an und bedankte sich für die Anteilnahme.
„Hat Isabel dir schon erzählt, auf welch spektakuläre Weise sie deine Seele vor dem Sensenmann gerettet hat?“
Er sah sie verwirrt an, und ich mischte mich ein.
„Nein, ich hatte noch keine Gelegenheit dazu, das erzähle ich ihm später. Übrigens sollten wir Anna nichts davon mitbekommen lassen, denn sonst hält sie uns wirklich noch für Hexen.“
Anette hielt das auch für besser und ließ uns allein. Jack hatte sich in die frischen Kissen zurückgelegt, und er trug ein frisches Nachthemd. Ausgiebig waschen wollte ich ihn erst am Abend. Während ich das Bett frisch bezogen hatte, hatte er ständig hin- und herrutschen müssen, und es hatte ihn unendlich angestrengt, aber er hatte kein Fieber mehr. Mit geschlossenen Augen und entspanntem Gesicht lag er auf dem Rücken.
„Was meinte Anette, Engelchen?“
Ich lief durchs Zimmer und sorgte für eine gemütliche Kerzenbeleuchtung, denn draußen hingen dunkle Wolken am Himmel und ließen den Tag nicht durchkommen.
„Es war ganz seltsam. Ich bin aufgewacht, weil du meinen Namen gerufen hast.“
Funken stoben auf, als ich einen Holzscheit in den Kamin legte.
„Habe ich etwa fantasiert?“
„Nein, eben nicht, das ist ja das Merkwürdige. Du hast völlig apathisch dagelegen und kannst gar nicht nach mir gerufen haben.“
Ich setzte mich zu ihm auf das Bett.
„Nur durch diesen Ruf habe ich bemerkt, dass du im Sterben lagst. Hätte ich weitergeschlafen, dann wäre ich womöglich morgens neben ...“ Ich stockte, und es schnürte mir die Kehle zu.
Er legte seine Hand auf meinen Arm.
„Dann sollte es noch nicht sein“, sagte er langsam. „Meine Seele hat dich wohl gerufen, damit du mir hilfst. Ich nenne dich nicht umsonst meinen Engel.“
Es klang, als sei dies die übliche Vorgehensweise, wenn man vor seiner Zeit im Sterben lag.
„Aber das ist doch irre, Jack! Wie kannst du das einfach so glauben?“
Er streichelte mein Haar und lächelte.
„Ich habe schon viele seltsame Dinge erlebt. Deshalb überrascht es mich nicht weiter, es ist eben so.“ Er zuckte mit den Schultern. „Aber was hast du dann getan, als du gemerkt hast, wie es um mich stand?“
„Ich habe mich an deine Worte erinnert“, sagte ich und erzählte ihm von der Stimme in meinen Gedanken und der Begegnung mit dem Indio. „Und seitdem kribbelt es mir ständig auf der Kopfhaut.“
„Das ist das erste Mal, dass eine Frau tut, was ich ihr sage.“ Er grinste, wurde aber gleich wieder ernst. „Du hast dich das getraut, Engelchen? Ohne eine Ahnung zu haben, was dich erwartet?“ Seine Stimme war nur ein Flüstern. Er nahm meine Hand und sah mich bewundernd an. „Du bist eine tolle Frau. Ich muss dich unbedingt heiraten.“
Ich küsste seine Lippen, und seine Bartstoppeln kratzten auf meiner Haut. Die Bemerkung mit der Heirat überhörte ich lieber, so kurz nach einem Fieberanfall redete man so manches. Wir sahen uns voller Liebe in die Augen, bis er „Sorry, Engelchen, wie es scheint, bin ich noch nicht so ganz fit“, murmelte und ihm die Lider zufielen. Ich ging zur Tür, und als ich schon halb draußen war, hörte ich ihn noch einmal sprechen.
„Weißt du eigentlich, was sie mit dir gemacht haben, gestern Nacht?“
„Nein.“
Er hatte sich auf die Seite gedreht, und
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