Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
ich konnte sein Gesicht nicht sehen.
„Sie haben dir eine wunderbare Energie gegeben. Mächtig und sehr wirksam. Und du wirst sie dein ganzes Leben lang behalten, meine kleine Schamanin.“
Im nächsten Moment war er eingeschlafen.
6
Jacks Vergiftung zog unangenehme Folgen für das Personal nach sich. Anna ordnete an, alle geöffneten Getreidesäcke nach Mutterkörnern zu durchsieben. Es stellte sich heraus, dass das Küchenpersonal zwar die Anweisung kannte, die schwarzen Körner zu vernichten, doch es nahm diese nicht so streng, da es keine Ahnung von den eventuellen Konsequenzen hatte. Nur Maria hatte jammernd die Hände gerungen, denn sie als erfahrene Köchin wusste sehr wohl um die Gefahren einer solchen Nachlässigkeit. Umgehend sprach sie bei Anna wegen ihrer Kündigung vor, doch Anna wollte auf ihre Dienste nicht verzichten, und so blieb sie uns erhalten. Ihr schlechtes Gewissen jedoch machte sie für ihre Untergebenen zu einer strengen Vorgesetzten.
Jack erholte sich nach einer Woche intensiver weiblicher Pflege. Nun sehnte er sich nach frischer Luft und entschloss sich an diesem Nachmittag, den Schnee vor der Haustür wegzuschaufeln. Genüsslich atmete er die kalte Luft ein. Im Haus war es stickig, man hielt zu dieser Zeit nicht allzu viel vom Lüften. Aus Angst, der mühsam aufgeheizte Raum würde den ganzen Tag über nicht mehr richtig warm werden, saßen die Menschen oft hartnäckig im eigenen Mief. Außerdem verfügte nicht jeder Raum über einen Kamin, so dass das Haus recht schnell auskühlte.
Jack setzte den schweren Holzschieber an, schob ihn einen Meter durch den Schnee und kippte den aufgetürmten Haufen auf die Seite. Er wollte eine freie Spur vor dem gesamten Haus schaffen, damit die Pferde nicht so viel Schnee mit hereinbrachten, wenn ein Wagen mit Ware ankam. Im Moment stand zwar keine Lieferung an, aber er betrachtete die Arbeit als eine Fitnessübung. Lange genug hatte er untätig herumgesessen. Der graue Himmel schien tiefer zu hängen als gewöhnlich, und der verschneite Platz vor dem Haus lag verlassen da. Kein Mensch war zu sehen, nicht einmal spielende Kinder. Es herrschte die gedämpfte wattige Stille des Winters.
Das 18. Jahrhundert hatte seine Reize, doch seine Vergiftung hatte Jack verdeutlicht, wie unterentwickelt die Medizin dieser Zeit war. Er machte sich dabei keine Sorgen um sich, sondern dachte an Isabel. Sollte sie schwer krank werden und man könne ihr hier nicht helfen, während sie zu Hause nur eine Tablette hätte einnehmen müssen, dann würde er auf der Stelle wahnsinnig werden.
Sie war so tapfer. Sie hatte sich an seine Worte erinnert und war das Abenteuer einer Seelenwanderung eingegangen, obwohl er ihr und Anette vorher von den Risiken erzählt hatte. Und sie hatte intuitiv alles richtig gemacht. Eine tolle Frau. Wie hatte sie sich nur in dieser Stresssituation so weit beruhigen und entspannen können, um in den richtigen Zustand zu kommen? Das musste an ihrer medialen Veranlagung liegen. Es war ihr einfach leicht gefallen. Bisher hatte er noch keine Frau getroffen, die in dieser Hinsicht Talente hatte oder etwa die seinen ernst nahm. Sie hielten ihn meist für einen Spinner mit indianischen Ansichten. Zwar schliefen sie mit ihm, doch tiefer gehende Gespräche konnten sie meist nur in bekifftem Zustand führen.
Und seine Familie erst! Er schippte mit einer Spur Aggression in seinem Schwung eine Ladung Schnee hinter sich. Seine Familie schämte sich sogar für ihn. Und nie, wirklich niemals hatte er irgendeinen Menschen ganz auf seiner Seite gehabt. Nicht einmal seine Mutter. Sie zog sich bei seinen Auseinandersetzungen mit seinem Vater stets weinend in ihr Zimmer zurück. Isabel würde das niemals tun, dachte er. Sie würde für ihre Kinder kämpfen wie eine Löwin, da war er ganz sicher. Isabel. Beim Klang ihres Namens in seinem Kopf wurde ihm warm ums Herz und anderswo. Sie war auf seiner Seite. Er genoss ihr Vertrauen und würde es niemals enttäuschen. Lieber heute als morgen würde er mit ihr nach Hause zurückkehren, aber wie sollten sie das anstellen?
Er wollte versuchen, noch einmal mit ihr gemeinsam, vielleicht mit Anettes Hilfe, eine Seelenreise zu unternehmen. Der Indio hatte ihr geholfen, mit einer starken Heilenergie, die er von den Schamanen in seiner Heimat kannte, sein Leben zu retten. Wofür war seine eigene Anwesenheit in diesem Drama wohl von Nutzen? Das würden sie hoffentlich bald erfahren. Außer Atem gekommen,
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