Schimmer der Vergangenheit (German Edition)
erschossen auf dem Rücken. Kein Wunder, dass sie nichts hört, dachte ich. Das Kind schrie alle drei Stunden, und Anna war dementsprechend erschöpft. Auf Zehenspitzen zog ich mich zurück und schloss behutsam die Tür.
Die anderen kamen in diesem Augenblick aus ihrem Zimmer und erkundigten sich nach der Lärmursache. Wegen des heftigen Gewitters hatten auch sie nicht schlafen können. Erschrocken hörten sie meinen Bericht, und wir gingen nach unten, um nach Jack Ausschau zu halten. Durch Regenschwaden sahen wir ihn eben langsam über den Platz zurückkommen. Sein Haar klebte in seinem Gesicht, und er sah stinkwütend aus. „Verdammt, der ist entwischt“, fluchte er.
Ich war dankbar dafür. Niemand war verletzt worden, und hätte Jack ihn erwischt, dann wäre vielleicht Schlimmeres passiert. Er überprüfte die Vordertür und alle anderen Eingänge, doch von dort hätte niemand ins Haus gelangen können.
„Wie ist der Kerl bloß reingekommen? Die Haustür stand offen, sagst du?“
„Lass es, Jack, gehen wir schlafen und denken morgen darüber nach“, schlug ich vor und war auf einmal todmüde.
Die Frauen gingen flüsternd die Treppe hinauf, und Jack sah an sich herunter. Die Hose klebte an ihm wie ein nasser Lappen und zeichnete sämtliche Körperteile scharf ab. Er zog vorsichtig an der Vorderseite des Schrittes, und es machte ein saugendes Geräusch. Wir lachten, ich hakte mich bei ihm unter, und wir gingen durch den Flur zu unserem Zimmer. Plötzlich blieb Jack stehen.
„Der Boden ist nass. Das kann nicht von mir sein, der Kerl war also auch hier“, sagte er und presste die Lippen aufeinander.
Ich bekam eine Gänsehaut, trat zögernd ein und konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken.
Alles war durcheinander gewühlt, und die Wäschetruhe lag umgestürzt auf dem Boden. Ich bückte mich und räumte sie hastig ein, in der Hoffnung, auf den Kasten mit dem Kristall zu stoßen. Doch er war nicht da.
„Er ist weg, der Kristall ist weg!“
„Dann waren sie zu zweit“, hörte ich Jack sagen, flugs hatte er Schuhe und Umhang angezogen und war aus dem Zimmer geeilt.
*
Jack hastete hinter den Dieben her, und seine nassen Füße quietschten in den Lederstiefeln. Nein, er würde nicht in diesem Jahrhundert stranden, bloß weil ein paar Hohlköpfe den Kristall gestohlen hatten. Er hatte den Kerl, den er verfolgt hatte, schon mal irgendwo gesehen und lief automatisch in die Richtung, in der seine frühere Stammkneipe lag. Dort trieben sie sich alle herum, die zwielichtigen Gestalten dieser Zeit. Er war schon lange nicht mehr regelmäßig dort gewesen. Nur in der Zeit, als Isabel noch nicht ihre Abende mit ihm teilte, hatte er sich ab und zu dorthin begeben. Mit Johannes suchte er Gasthäuser der gehobenen Gesellschaftsklasse auf.
Er verlangsamte seine Schritte, als Stimmen aus einer Nebengasse zu ihm drangen. Es regnete in Strömen, und dicke Tropfen blieben in seinen Wimpern hängen, so dass er sich ständig über die Augen wischen musste, um seine Umgebung zu erkennen. Vorsichtig um die Ecke spähend, erkannte er die zwei Männer, die damals Isabel belästigt hatten. Sie tuschelten miteinander, doch er konnte nichts verstehen.
Wahrscheinlich wollten sie sich an ihm rächen, weil er sie daran gehindert hatte, sich mit Isabel zu amüsieren.
Die Männer gingen ohne Eile weiter durch die Gasse. Einer gestikulierte wild, und der andere schüttelte ständig den Kopf. Streitet ihr nur schön, dachte Jack. Das könnte ein Vorteil sein. Er folgte ihnen und huschte in jeden Winkel, der sich ihm zur Deckung bot.
Er hätte sich die Mühe sparen können, denn sie sahen sich nicht einmal um. Ihr fühlt euch sicher, dachte er. Das ist gut so.
Jack ging nun mitten auf der Straße. Sein wollener Umhang lastete vom Regen tonnenschwer auf seinen nackten Schultern, und er hatte es satt, ihnen durch die ganze Stadt zu folgen, denn ebenso gut könnte er sie sofort stellen.
„Hey, ihr da!“, rief er sie an.
Sie drehten sich um und erkannten ihn sofort. Der eine warf dem anderen etwas zu, und dann rannten sie. Und Jack rannte hinterher.
Er rannte, so schnell er konnte, und das war sehr schnell. Die Indianer nannten ihn „Running Deer“, weil er so schnell laufen konnte wie das Wild in den Wäldern Nordamerikas. Nur noch ein paar Meter, dann könnte er nach dem einen Kerl fassen. Sein Atem ging stoßweise, es strengte ihn an, hatte er doch seit dem Beinbruch nicht mehr trainiert. Er machte einen Satz und
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